Pressestimmen
„Juli Zehs furchtlos vor jedem Klischee ins Herz der bundesrepublikanischen Wirklichkeit zielender Gesellschaftsroman ist ein literarischer Triumph.“
Denis Scheck / Der Tagesspiegel, 300200.07.2016
"Juli Zeh hat mit "Unterleuten" den Roman der Stunde geschrieben: über die große Gereiztheit, über Politikverachtung und Resignation."
Volker Weidermann / Der Spiegel, 160200.07.2016
"Mitreißend geschrieben, lebendig und spannend – ein großer Roman."
Natascha Geier / ARD Das Erste (ttt -titel thesen temperamente), 060100.03.2016
"So kann Literatur sein: anregend, aufregend, amüsant, engagiert und voller Ungewissheiten."
Karin Grossmann / Sächsische Zeitung, 020200.04.2016
"Um es mit einem Wort zu sagen: Juli Zehs neues Buch ist vorzüglicher Lesestoff. Spannend, lebendig, lehr- und kenntnisreich zum Platzen."
Ursula März / DIE ZEIT, 170100.03.2016
"Ist das schon das Buch des Jahres? Juli Zeh legt bei ihrem neuen Verlag Luchterhand einen großen Gesellschaftsroman vor."
Jörn Meyer / BuchMarkt, 020100.01.2016
"Ein meisterhafter Gesellschaftsroman, der sich wie ein Thriller liest und blutig endet."
Verena Lugert / Annabelle, 010100.03.2016
"Fast möchte man „Unterleuten“ eine moderne Eulenspiegelei nennen, eine wunderbare Schelmengeschichte, nur dass hier viele Narren am Werk sind. Großartig."
Katja Weise / NDR Kultur, 060100.03.2016
"Ein herrlich zynischer, brutal desillusionierender Roman gegen alle Landlebenverklärung."
FOCUS, 260100.03.2016
"Ein Pageturner zum Nachdenken."
Andrea Braunsteiner / Woman, 010100.03.2016
"Spannend wie ein Krimi und gleichzeitig ein großartiges Porträt vom Zeitgeist einer Sinn suchenden Gesellschaft am Beginn des dritten Jahrtausends."
Gabi Eisenack / Nürnberger Zeitung, 080100.03.2016
"Enorm unterhaltsam und handwerklich raffiniert gemacht."
Christoph Schröder / Der Tagesspiegel, 130100.03.2016
"Juli Zeh ist ein spannender, kritischer und kluger Roman gelungen."
Frank Statzner / hr-iNFO, 100100.03.2016
"Zeh gelingen wunderbare, mit feiner Ironie und toller Beobachtungsgabe gezeichnete Porträtminiaturen. Sie vergisst darüber aber nicht, den spannenden Erzählfluss voranzutreiben."
Thomas Kliemann / Kölnische Rundschau, 080100.03.2016
"Ein Bild gestriger und heutiger Zustände im Großen und im Kleinen, berührende und schreckliche Schicksale, eine Erzählung über Moral, Gemeinwohl und Eigeninteressen - ein Lesevergnügen."
Klaus Zeyringer / Der Standard, 120100.03.2016
""Unterleuten" ist ein großer, zudem fesselnder Gesellschaftsroman."
Vanessa Loewel / RBB inforadio, 080100.03.2016
"Die Konflikte um altes und neues Unrecht, um Untreue, Eifersucht und verpasstes Glück steigern sich zum echten Thriller."
Harald Jähner / Berliner Zeitung, 180100.03.2016
"Unglaublich packend. Könnte eines der besten Bücher des Jahres sein."
Cosmopolitan, 120100.03.2016
"Eine gnadenlos scharfsinnige und zugleich spannend zu lesende Gesellschaftsanalyse."
Olaf Schmidt / Kreuzer (Leipzig), 010100.03.2016
Leserstimmen
Juli Zeh zeigt in ihrem Roman einmal mehr, wie gut sie eine ausgefeilte psychologische Figurenzeichnung beherrscht. Wie wer sich gegenüber dem großen Investor verhält, der Parzelle um Parzelle Land zum Errichten eines großen Windparks aufkauft, das ist vergnüglich und lehrreich zugleich. Ränke und Intrigenspiel des Dorflebens erinnern an tagesaktuelle Intrigen auf dem politischen Parkett. Grüner Klimaschutz dient hier nur der Gewinnmaximierung, Aussteigen folgt eher nostalgischen Bedürfnissen als einem wirklichen Streben nach ländlicher Idylle.
Dabei bleibt der Zynismus der Autorin immer menschenfreundlich und lebensbejahend.
Juli Zeh zeigt in ihrem Roman einmal mehr, wie gut sie eine ausgefeilte psychologische Figurenzeichnung beherrscht. Wie wer sich gegenüber dem großen Investor verhält, der Parzelle um Parzelle Land zum Errichten eines großen Windparks aufkauft, das ist vergnüglich und lehrreich zugleich. Ränke und Intrigenspiel des Dorflebens erinnern an tagesaktuelle Intrigen auf dem politischen Parkett. Grüner Klimaschutz dient hier nur der Gewinnmaximierung, Aussteigen folgt eher nostalgischen Bedürfnissen als einem wirklichen Streben nach ländlicher Idylle.
Dabei bleibt der Zynismus der Autorin immer menschenfreundlich und lebensbejahend.
- etwa die Hälfte der handelnden Personen hat nach meiner Meinung einen an der Waffel und ist weder früher, noch heute typisch für die Dorfbevölkerung.
- Es ist in vielen Passagen zu langatmig geschrieben, was auch andere schon gemerkt und bemängelt habe. Eingedampft auf die Hälfte - bei Streichung alles unnötigen Beiwerkes- hätte es auch getan. Warum zum Beispiel muss man einen Autotyp genau benannt oder einen anderen Gegenstand genau beschrieben bekommen? Alles nutzloses Beiwerk.
- Manche Episode dürfte auch mit dem Nichtwissen der Autorin über die DDR zu erklären sein, z.B. dass einem, nur damit er in eine LPG eintritt, ein Feuer gelegt worden ist. Hat die Autorin nicht erfahren können, dass manche Bauern ihre Hunde auf die Agitatoren aus der Stadt gehetzt haben? Ich selber habe in den 60er Jahren auch auf dem Dorf gelebt und bemerkt, dass es 3 bis 4 Jahre nach der Vollgenossenschaflichkeit auf dem Land eher die Grundstimmung gab: "Diese Genossenschaft hätten wir schon früher gründen sollen"
- Auch die vielen Unglücks- und Todesfälle in wenigen Jahrzehnten sind unglaubhaft. Da hat sich Frau Zeh wohl zu sehr von Wunschträumen leiten lassen.
Wenn Frau Zeh einmal sehen möchte, wie gute Literatur aussehen kann, dann sollte sie sich mal ein Werk von Landolf Scherzer durchlesen. Auch alles spannend, aber real und nicht abgehoben und ohne Spinnereien.
Danke, nach den ersten 60 Seiten war ich schon glücklich darüber, dass man mit seiner Beobachtung über Menschen, Gedanken und Umwelt nicht alleine steht. Trotzdem ist es ein Buch, das einen durch Wochen begleitet, weil es einen nicht übermäßig einnimmt oder die Konzentration dermaßen fordert,dass man es an einem Stück lesen muss.
Achtung an Leute, die das Buch noch nicht gelesen haben (!):
Kurz vor Krönchens Verschwinden liest Kathrin ein Buch, in dem ein Junge verschwindet und der Vater in der Situation unglaublich verzweifelt.
Ist das eine Anspielung auf "Schilf" ?
Meinung:
Mit beeindruckendem Detailreichtum erzählt die Autorin amüsant und sehr komplex von den Eigenheiten der menschlichen Psyche!
Kurzrezension:
Als bekennende Juli Zeh Verehrerin war dieser Roman ein Fest, aber auch gleichzeitig sehr herausfordernd für mich. Dieser Roman wird oft als Gesellschaftsroman verstanden, aber ich finde, er ist gleichzeitig mehr und weniger davon. Dieser Roman zeigt nicht nur gegenwärtige gesellschaftliche Brüche auf, sondern viel mehr die Grundzüge aller menschlicher Existenz.
Das Cover ist sehr zurückhaltend gestaltet, nur ein Vogel ist zu sehen, während dem Namen der Autorin sowie dem Titel deutlich mehr Präsenz zukommt. Der Vogel ist eine Andeutung auf den Vogelschutzbund, der Titel wird in Großbuchstaben auf zwei Zeilen präsentiert. Hier lässt sich noch nicht erkennen, ob es sich um zwei oder nur ein Wort handelt. Dass es um ein zusammengesetztes Wort und ein Dorf geht, kann der unwissende Leser erst auf den ersten Seiten des Buches erfahren.
Unglaublich beeindruckend an dem Buch ist, wie Juli Zeh es schafft, ihre Figuren so lebendig sein und agieren zu lassen. Alle Protagonisten der Handlung haben Geheimnisse, die sie verstecken, Probleme, die sie nicht wahrhaben wollen und Schwierigkeiten, die an die Oberfläche gelangen, als der Konflikt im Dorf Gestalt in Form von einem erst entstehenden Windpark annimmt. Zeh stellt die brachiale Gewalt der Emotionen in den Raum, sodass von Beginn an klar ist, es muss auf eine gewalttätige Eskalation folgen. Und der Leser wird dabei nicht enttäuscht.
Das Buch ist sehr überlegt aufgebaut und die einzelnen Kapitel sowie die Perspektivwechsel tragen dazu bei, dass die schwelenden Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden können. Wie auf dem Seziertisch verfolgt man die Figuren mit ihren eigennützigen Plänen und ahnt bereits, wie diese Egozentrik Unterleuten zum Untergang verdammt.
Die Perspektivwechsel sind die Grundlage für die unglaubliche Sogwirkung des Romans. Je mehr Personen für sich sprechen, desto interessanter wird die Handlung. Es ist wie ein Puzzle, welches der Leser zusammensetzen soll. Gleichzeitig spielen diese Perspektivwechsel mit den Erwartungen des Lesers. An einigen Stellen erfährt er, etwas Wichtiges, wenn eine Figur spricht, an anderer Stelle, wenn sie nicht mehr spricht und „abgeht“, wird ihm Wissen verweigert.
Trotz der auktorialen Erzählerin, die erst zum Ende hin als Figur eingeführt wird und somit als Chronistin der Handlung dient, sind die einzelnen Perspektiven extrem subjektiv. Dadurch werden in dem als großen Gesellschaftsroman weniger Fragen beantwortet als aufgeworfen. Zudem spielt der Roman mit den Grenzen von Imagination und Realität, denn all unsere Handlungen gründen schließlich auf Imagination, wie all die Figuren im Roman beweisen.
Sprachlich gesehen bleibt Unterleuten eher hinter Zehs anderen Werken zurück. Das liegt vor allem an dem schnellen Tempo des Geschehens und der Sätze selbst. Alles ist auf den überspitzten Konflikt hin komponiert, die Sprache ist glatt und liest sich schnell und ohne Stolperfallen. Sie ist so gut durchkomponiert, dass es immer weitergehen muss bis zum unweigerlichen Cliffhänger des Kapitels. Ein Spiel mit realer Lesezeit und imaginierter Zeitwahrnehmung im Handlungsgeschehen.
Um das Ganze noch auf die Spitze zu treiben, entstand eine Homepage, die sich mit genau dem Thema Metafiktion beschäftigt. Hier werden der Roman, das Dorf und die Menschen darin vorgestellt. Zudem gibt es echte Internetadressen der Buchinhalte wie beispielsweise der Internetauftritt des Vogelschutzbunds aus Unterleuten. Ein Phänomen, welches nicht so häufig bei Gesellschaftsromanen oder belletristischen, dafür aber bei publikumswirksamen Büchern umso verbreiteter ist. Hier spiegelt sich die Realität in der Fiktion und umgekehrt. Wessen Egozentrik liegt dann eigentlich auf dem Seziertisch?
Fazit:
„Unterleuten“ zu lesen macht trotz der schnelllebigen Sprache richtig Spaß. Gleichzeitig bringt es den Leser zum Nachdenken und versucht ihn zu fragen, was die wichtigen Dinge und Fragen im Leben sind. Denn Zeh zeigt sehr offen durch ihre handelnden Figuren, wie unsere Zeit, unsere Gesellschaft gestrickt ist.
Ein Lesevergnügen, das 4,5/5,0 Punkten verdient.
An dieser Stelle bedanke ich mich bei der Verlagsgruppe Random House, für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.
Juli Zeh hat ihren Roman in sechs Teile gegliedert und lässt in 62 Kapiteln ein knappes Dutzend der Dorfbewohner zu Wort kommen. Und so schwappt nicht nur die Vergangenheit allmählich ans Tageslicht, sondern ich als Leser betrachte das Ganze ständig aus einem anderen Blickwinkel. Das macht die Faszination dieses Dramas aus, denn genau das ist es für mich. An dieser kleinen Dorfgemeinschaft stellt Juli Zeh sehr anschaulich dar, wie jeder nur an seinen Vorteil denkt und sich dabei auch noch im Recht fühlt, wie jeder gegen jeden intrigiert und die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen. Die Handlung bewegt sich dabei kontinuierlich weiter und kann auch mit einigen Thrillerelementen aufwarten. Denn mit Cliffhangern geizt Juli Zeh absolut nicht.
Die Personen waren mir allesamt zunächst unsympathisch, das muss man auch mal schaffen. Und je mehr ich über jeden einzelnen erfahren habe, um so mehr verschwammen die Grenzen zwischen Antipathie und Sympathie.
Sprachlich finde ich Unterleuten absolut brillant, der Schreibstil ist zweideutig, sarkastisch, humorvoll und auch spannend und bei all der Vielseitigkeit doch gut zu lesen. Ich mag schöne Sprache, aber ich muss passen, wenn es zu kompliziert oder zu abgehoben wird. Das ist es hier ganz und gar nicht der Fall. Ich bin beeindruckt von so viel Zweideutigkeit, von so vielen Sätzen, bei denen ich erstaunt die Augenbraue hebt um dann beim zweiten oder dritten Lesen das gesamte Zwischenspiel zu erfassen. Das ist schon genial und mir in dieser Form noch nicht bewusst begegnet.
Vordergründig geht es natürlich um den geplanten Windpark und wie jeder am besten seinen Vorteil daraus zieht. Aber gleichzeitig hat Juli Zeh noch viele andere Themen angesprochen wie die Stadtflucht, Ehekrisen, Schuld und Sühne und die Verarbeitung der DDR Geschichte.
Mir ging es beim Lesen nicht immer gut, manches zog sich, einige Figuren blieben etwas blass und manchmal waren mir die gemeinen Intrigen einfach zu viel. Unterleuten ist alles andere als ein Wohlfühlroman und hat das Potential, romantische Vorstellungen vom Landleben zu zerstören. Aber über allem steht dann doch die brillante Sprache, die ich in vollen Zügen genossen habe und eine Story, die man nicht so schnell vergisst.
Fazit: Landleben ist nicht immer idyllisch und schöne Sprache beschreibt nicht immer schöne Dinge. Mit Unterleuten hat Juli Zeh mir einen Blick hinter die Idylle gewährt und ein Gesellschaftsbild gezeichnet, das mich sehr nachdenklich gemacht hat.
Dort ist man von Neuankömmlingen und generell allem, was neu ist, wenig begeistert, und vor allem eines: skeptisch. Denn: früher war alles besser. Ging seinen gewohnten Gang. Man wusste, wer man war, und wohin man gehörte, hatte einen Job, hatte Familie. Hatte vielleicht nicht die größten Perspektiven, aber einen Platz und einen Nutzen. Dann kam die Wende. Jobs gingen verloren, Familien zerfielen, Traditionen wurden gebrochen und so manch einer der Dorfbewohner hat seinen Sinn im Leben aus den Augen verloren.
Der alternde Dozent nimmt eine Stelle als Vogelschützer an, seine Freundin hingegen merkt, dass die anfänglich idyllische Vorstellung vom ruhigen Leben auf dem Land mehr als fragil ist. Zu guter Letzt soll rund um den Ort nun auch noch ein Windpark errichtet werden – der Vogelschützer geht auf die Barrikaden und die Lage im Dorf eskaliert.
Genormt, bespaßt und verwaltet – eine Bürgerherde.
Die Handlung des Buches ist vielleicht keine ganz neue, keine ganz außergewöhnliche. Bei Zehs Romanen ist das häufig so – sie leben von der detaillierten, auf den Punk gebrachten Beschreibung der Charaktere – so auch in diesem Roman, der aus der Sicht der verschiedenen Bewohner erzählt wird.
Hierbei wird keine der Figuren weichgezeichnet, idealisiert oder stigmatisiert, viel mehr beginnt der Leser, Verständnis aufzubauen – für Wendegewinner, Wendeverlierer und gänzlich unbetroffene, zugezogene. Für Bauern und Unternehmer, die ihre fast schon traditionsgewordene Fehde weiter kultivieren, obwohl keiner so Recht weiß, worin diese ihren Urpsprung hat. Für eine Mutter, die nur das Beste für ihr Kind will, und darüber vergisst, was sie eigentlich möchte. Für den Nachbarn einen Zaun weiter, der rücksichtslos in ihren Wohnraum eindringt. Für Affären, für Totgeschwiegenes, für Bürgermeister- und für Bürgerinteressen.
War denn der Kommunismus eine so schlechte Idee, wenn ein alteingesessenen Ostdeutschen, der vergangenen Zeiten hinterhertrauert und diese idealisiert, aktuelle Entwicklungen so pointiert kritisiert, dass man kurz stockt und sich denkt: Recht hat er?
Unterleuten ist ein wirklich großartiger Roman, dabei aber ganz unaufgeregt. Ein Pageturner, den man aber trotzdem zwischendurch aus der Hand legen kann -und vielleicht auch muss – um die Geschehnisse nachwirken zu lassen. Zwischen den Zeilen wird so vieles angesprochen, wird Kritik an so vielen aktuellen Entwicklungen geübt, dass jeder etwas aus diesem Buch für sich mitnehmen kann. Best-Bewertung dafür von mir und eines der Bücher, das im Regal bleiben darf – auf Lebenszeit.
2016 ist noch nicht ganz vorbei, ich lege mich dennoch schon jetzt fest: "Unterleuten" ist das Beste, was ich in diesem Jahr gelesen habe. Volltreffer.
Juli Zeh beschreibt ein Dorf und seine BewohnerInnen mit ihren Lebensentwürfen, Moralvorstellungen, familiären Verstrickungen, Sehnsüchten und politischen und persönlichen Interessen.
Ich habe einen Faible für Bücher, in denen Geschichten aus verschiedenen Perspektiven erzählt werden. In diesem Buch kommen kapitelweise verschiedene Personen, die in Unterleuten leben, zu Wort und beschreiben die Situation in dem kleinen Dorf aus ihrer Sicht. Die Charaktere, die bisweilen Klischees erfüllen, und die Themen des Dorfes, lassen sich problemlos auf unsere Gesellschaft übertragen.
Eine Mutter, die nur das Wohl ihres Kindes im Sinn hat und vom Leben auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird. Ein Umweltschützer, dem die Kraniche dann doch im letzter Konsquenz egal sind. Eine Pferdenärrin, die vor Ehrgeiz und Selbstbeherrschung strotzt und ihre Interessen durchsetzt, egal wie. Eine durchgeknallte Alte, die mit 20 Katzen in einem Haus lebt. Ein Bürgermeister, der nur das Beste für sein Dorf im Sinn hat. Und ein Energiekonzern, der einen Windpark in Unterleuten errichten will.
Juli Zeh ist es gelungen einen Gesellschaftsroman zu schreiben, der sich wie ein Krimi liest. Großartig.
Juli Zeh hat mit Unterleuten einen Gesellschaftsroman über das 21. Jahrhundert geschrieben, in dem nur noch der Einzelne zählt und die Gemeinschaft immer mehr zerfällt. Dabei gelingt es ihr hervorragend, dem Leser das Leben in Unterleuten nahe zu bringen, indem sie ihre Protagonisten detailreich und lebensnah zeichnet und die Beziehungen zueinander mit viel Feingefühl herausarbeitet.
Auch wenn der Roman im Verlauf bisweilen Längen aufweist, fand ich die Art und Weise, wie Zeh ihren Protagonisten Leben einhaucht, beeindruckend, denn jede einzelne Figur wurde komplex gezeichnet und beschrieben, wobei man anfangs sympathische Personen im Verlauf bisweilen für abstoßend hält und initial widerwärtige Menschen nach und nach besser verstehen und akzeptieren kann. Diese vielschichtigen Protagonisten empfand ich als extrem spannend und zusammen mit den verflochtenen Beziehungen zwischen ihnen als Höhepunkt des Romans. Auch die Schilderungen der Handlungsorte sind Zeh außerordentlich gut gelungen, und beim Lesen fühlt man sich des Öfteren nach Brandenburg versetzt.
Sprachlich empfand ich Unterleuten als anspruchsvoll, ohne dass sich der Roman sperrig lesen ließ. Vielmehr handelt es sich um ein flüssig lesbares Buch, das sprachlich sehr natürlich wirkt und inhaltlich packend ist.
Juli Zeh: Unterleuten. Luchterhand Literaturverlag, 2016, 639 Seiten; 24,99 Euro.
„Die jungen Leute von heute besaßen erstaunliche Talente. Zum Beispiel ungeheure Effizienz bei vollständiger Abwesenheit von Humor.“
Und wer hat nicht selbst genügend Erfahrungen mit dysfunktionalen Beziehungen, mit Idealisten, die dann doch irgendwie auf die Dark side gewandert sind, mit anstrengenden Hipstern, mit den dauerpolitisierenden vermeintlichen Sieger- oder Verlierertypen.
Wer sich also mindestens einmal zu entsprechenden Erfahrungen bekennen muss, der wird wahrscheinlich einen Großteil von sich selbst und seinem Bekanntenkreis in dem Protagonisten-Reigen des Romanes wiederfinden.
Ok, es macht vielleicht nicht immer unbedingt Spaß, den Spiegel vorgehalten zu bekommen und man sich sieht in seiner verknitterten, augenberingten Glorie, aber da muss man durch. Frau Zeh ist da unerbittlich, in Technicolor und 3D beleuchtet sie die Düsternis in der vermeintlichen Idylle des Dorfes „Unterleuten“. Windräder spalten ein ganzes Dorf, die zugezogenen Natur-Naivlinge wünschen sich unveränderte Naturschönheit, sie sind schließlich nicht aus der Stadt weggezogen um jetzt wieder mit dem Fluch des Fortschritts konfrontiert zu werden, die knorrigen Dörfler hoffen auf Geld und Zukunft für ihr Dorf und man fragt sich ständig während des Lesens, wo würde man selbst wohl stehen.
„Was ihn so gebannt zu hören ließ, war die Art, wie Frederick und Lina miteinander sprachen. Die beiden gehörten zu einer fremden Spezies. Nichts an ihnen war gedämpft. Nichts an ihnen war unsicher, zurückhaltend, zweiflerisch oder bescheiden. Diese jungen Menschen, in Meilers Augen halbe Kinder, agierten als Repräsentanten eines neuen Jahrhunderts. Sie arbeiteten nicht mehr für Vorgesetzte. Sie kannten keine überheizten Büros, keine grauhaarigen Sekretärinnen und keine Telefone, die über Kabel mit der Wand verbunden waren. Sie kannten keine Abteilungen und deren Abteilungsleiter, keine kurzen und lange Dienstwege und auch nicht den Geruch von frisch gesaugten Teppichböden, der die Arme schwer, den Rücken krumm und die Schritte langsam machte. Sie waren selbständig, selbstsicher, selbstsüchtig, wandelnde Selfies, zwei dauerbewegte Selbstporträts. Wenn sich Meiler die neue Generation vorstellte, sah er eine Armee von jungen Leuten mit ausgestrecktem rechten Arm, nicht zum Führergruß, sondern um das eigene Gesicht mit dem Smartphone aufzunehmen.
Zeh versteht es, die Dynamiken dieses Mikrokosmos zu erfassen und jeder der Charaktere des Romans hat Substanz und ist glaubhaft, ganz egal welchen Hintergrund oder welches Alter eine Person hat. In keinem ihrer Romane hat Zeh mich so sehr an Franzen erinnert wie in diesem, in der Dichte, Länge und auch im Anspruch habe ich mich häufiger an „Freedom“ erinnert gefühlt. Zeh läßt uns durch ein Kaleidoskop schauen, jedes Mal wenn man glaubt erkannt zu haben, was Sache ist, gibt es eine neue überraschene Wendung.
Im Grund geht es auch in „Unterleuten“ um Freiheit, persönliche und gesellschaftliche, wie wir sie ausleben und die daraus entstehenden Konsequenzen.
Mir hat „Unterleuten“ trotz oder wegen der dörflichen Provinz sehr gut gefallen. Gut geschrieben, spannend, humorvoll auch wenn keine der Figuren einem wirklich ans Herz wächst und sie eigentlich alle mehr oder weniger bemitleidenswert sind. Ich freue mich schon jetzt auf ihr nächstes Buch.
Gewinner gibt es keine in diesem Roman, so ist es wohl das Leben in der Provinz und Juli Zeh muss das wissen, die ist schießlich vor ein paar Jahren ins Havelland gezogen.
Hier noch eine weitere Rezension zu „Unterleuten“ von Brasch & Buch, der auch ein Interview mit Erfolgsguru Manfred Gortz geführt hat😉
Im Kern geht es in "Unterleuten" um den Bau von Windkrafträdern auf dem Gebiet der brandenburgischen Gemeinde Unterleuten. Daraus macht Juli Zeh einen Roman über 600 Seiten mit ca. 30 handelnden Personen. Zuerst subtil und später offensichtlich entwickelt sich eine spannende Geschichte. Es will schon etwas heißen, wenn ich ein Hardcover dieses Gewichts zeitweise ins Reisegepäck aufnehme.
"Zugezogene" (u. a. ein Vogelschützer, angelockt von den Kampfläufern und Stadtflüchtlinge auf der Suche nach ländlicher Idylle) treffen auf alteingesessene Dorfeinwohner und zudem verfolgt ein westdeutscher Investor seine Agenda. Die Konflikte sind vorprogrammiert. Und dann gibt es noch den Zwist zwischen den Alphatieren des Dorfs, der bis in DDR-Zeiten zurückreicht. Die Kungelei um die Windräder und die geschickte Verstrickung der Lebenswege der Dorfbewohner ergeben zusammen eine Geschichte, die zwar nicht ganz ohne Klischees auskommt, aber trotzdem sehr realistisch erscheint. Die Erzählweise der erfolgreichen Autorin Juli Zeh wird ihrem Ruf gerecht. So wird z. B. an der Figur der ehrgeizigen Linda Franzen gezeigt, wie sich der Glaube an "Lebenshilfe- und Motivationsbücher" auswirkt. Als Vorlage hält das reale Buch "Dein Erfolg" von Manfred Gortz her. Realität und Fiktion verschwimmen in "Unterleuten" immer wieder. Auf der Website zum Buch werden das Dorf und seine Bewohner vorgestellt, selbst auf die Website der Dorfkneipe wird verwiesen.
So sehr den Geschichten und Charakteren Raum für ihre Entwicklung gelassen wird, so sehr überschlagen sich gegen Ende die Ereignisse. Diese Beschleunigung hätte ich nicht gebraucht. Trotzdem gibt es von mir eine nachdrückliche Leseempfehlung. An "Unterleuten" kann wirklich jeder Leser Gefallen finden. Trotz der 635 Seiten wird die Geschichte allerdings nicht für den ganzen Winter reichen, dafür liest sich das Buch einfach zu schnell und zu gut.
Juli Zeh beschreibt ein Dorf, das sicherlich viele schon so vor Augen hatten. Auf den ersten Blick eine ländliche unberührte Idylle, die man erst auf der Karte suchen muss. Die 250 Bewohner lieben es schlicht und ruhig. Die ehemalige LPG, jetzt ein Agrarbetrieb mit Bio-Siegel ist der einzige große Arbeitgeber weit und breit. Neu ist der Aufwand, der um das Buch herum betrieben wurde. Die Autorin sagt selbst über das Buch: "'Unterleuten' hatte von Anfang an die Tendenz, über die Buchdeckel hinaus zu wuchern." Im Internet findet man eine eigene Website http://www.unterleuten.de/, die nicht nur das Dorf mit Ortsplan und die Bewohner akribisch genau in Steckbriefen beschreibt, sondern auch Medien wie facebook und youtube nutzt, um Charaktere des Buches "lebendig" werden zu lassen. Zum Verständnis der Handlung sind diese zusätzlichen Angebote aber nicht erforderlich.
Nach Veränderung strebt in Unterleuten niemand. Die Charaktere sind nicht sympathisch, glatt und nett anzuschauen, sie polarisieren. Jeder hat sich sein eigenes kleines Weltbild geschaffen und lässt daran nicht rütteln.
"Am liebsten sprach er davon, dass das Drama der modernen Politik im fanatischen Streben der Menschen nach Veränderung liege. Die
Menschen von heute konnten nichts lassen, wie es war, auch das Gute nicht. Wenn etwas funktionierte, machten sie es mit ihrer Änderungswut kaputt, bis es wieder Probleme gab, mit deren Lösung sie sich profilieren konnten."
Die Handlung, die nicht mehr als zwei Monate (Juli und August 2010) einnimmt, überrascht durch immer neue Wendungen. Man bewegt sich von der Oberfläche in immer tiefere menschliche Abgründe. So wie man seinen Nachbarn vermeintlich kennt, hat man auch bei den Unterleutenern schnell Schubladen geöffnet und sich eine Meinung gebildet. Doch es kommt anders, dramatisch und unvorhersehbar.
Das Spiel um Missverständnisse und Schuldzuweisungen wird von der Autorin gekonnt inszeniert. Ein gesellschaftskritisches Lesevergnügen der besonderen Art.
Andauernd befinden sich die Charaktere *unter Leuten* und gegenseitiger Schuld und Abhängigkeit. Wie ein Thriller liest sich der Roman um altes und neues Unrecht, zerplatzte Träume, Untreue und Eifersucht.
Sehr bitter war das Ende des Romans, welches nur Beschädigte kennt, zudem hätte ich mir einen anderen Gewinner beim Tauziehen um das Gelände gewünscht.
Zwei Ungenauigkeiten habe ich gefunden, auf Seite 627 ist von Walfischen die Rede, dabei sind dies Säugetiere und die Olympiade ist die Zeit zwischen den Olympischen Spielen und nicht die Spiele selbst (Seite unbekannt).
Fazit
Ein faszinierender Roman über die Komplexität menschlicher Beziehungen.
träumen.
Das Dorf Unterleuten mit seinen 250 Einwohnern mitten in Brandenburg gibt es zwar nicht, aber bei näherem Hinsehen stellt man fest, dass es stellvertretend für zahlreiche andere Dörfer steht. So oder so ähnlich. Unterleuten wirkt wie aus der Zeit gefallen: Es gibt weder eine Arztpraxis noch eine Schule, kein Internet, und die Renten der alten Bewohner sind so klein, dass der Tauschhandel blüht. Doch da geht es nicht um Geld gegen Naturalien, sondern um „Eine Hand wäscht die andere“. Probleme werden innerhalb der Dorfgemeinschaft gelöst, die Polizei wird nicht gebraucht. Alles, was außerhalb des Dorfes passiert, ist für die Bewohner uninteressant.
Aber auch ein auf den ersten Blick so rückständiges Dorf verändert sich. Es kommen neue Menschen hinzu, die sich hier ein „neues Leben“ aufbauen wollen. Da ist zum Beispiel der frühere Soziologieprofessor Gerhard Fließ, der als neuer Mitarbeiter des Vogelschutzbunds Unterleuten Gefallen daran findet, bei jedem Bauantrag beinahe zwanghaft Einspruch einzulegen, weil er die Existenz des seltenen Kampfläufers bedroht sieht. Man muss kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass er sich damit keine Freunde und das Leben zur Hölle macht. In seinem Schlepptau sind seine 22 Jahre jüngere Ehefrau Jule und ihre gemeinsame sechs Monate alte Tochter Sophie. Jule war bei Gerhard Studentin und muss im Verlauf der Handlung erkennen, dass ihr Mann ein anderer Mensch ist, als sie geglaubt hat.
Doch auch Linda Franzen, die mit ihrem Freund Frederik Wachs ein heruntergekommenes Gutshaus gekauft hat, das sie jetzt renovieren will, ist mit ihrem ausgeprägten Ehrgeiz ein Fremdkörper in der Dorfgemeinschaft. Ihr ist fast jedes Mittel recht, um an eine Baugenehmigung zu kommen, die es ihr möglich macht, einen Stall für ihr Pferd Bergamotte zu bauen. Hat es etwas zu bedeuten, dass alle vorherigen Bewohner des Gutshofs nur kurz dort gelebt haben, weil es sie frühzeitig dahingerafft hat?
Konrad Meiler ist der große Unbekannte des Dorfes. Er hat bei einer Versteigerung riesige Flächen rund um Unterleuten gekauft, ohne zu wissen, was er damit tun soll. Doch seine Ratlosigkeit dauert nur kurze Zeit. Wohnen wird er dort nicht.
Die Zugezogenen sehen sich den Alteingesessenen gegenüber, die teilweise seit Jahrzehnten ihre Konflikte so ausdauernd pflegen wie andere Leute einen seltenen Bonsai. Die Unterleutener, die schon zu Zeiten der DDR dort gewohnt haben, sind in einem von außen nur mühsam zu durchschauenden Beziehungs- und Abhängigkeitsgeflecht miteinander verbunden, in dem Alte gegen Junge, Frauen gegen Männer, Betriebsleiter gegen LPG-Veteranen und alle zusammen gegen ihr Leben arbeiten.
2010 wird für das fast 700 Jahre alte Unterleuten ein Schicksalsjahr. Das Flurstück „Schiefe Kappe“, eine bislang karge und uninteressante Anhöhe, rückt in den Mittelpunkt des Dorfinteresses, als es zum Eignungsgebiet für einen neuen Windpark erklärt wird. Die Aufregung ist groß, viele Einwohner befürchten eine Verschandelung der Landschaft. Doch es gibt auch Nachbarn, die sich davon ein einträgliches Geschäft versprechen, dessen Ertrag sie für den Rest ihres Lebens unabhängig machen würde. Es beginnt ein Krieg, in dessen Verlauf Konflikte, die bisher dicht unter der Oberfläche schwelten, aufbrechen. Die Situation eskaliert, es wird intrigiert und gelogen, aber nicht wirklich kommuniziert. Der Dorffunk behält dabei immer die Oberhand; den Gerüchten, die er transportiert, wird vorbehaltlos geglaubt. Kein Wunder, dass Unterleuten sich mit jedem neuen Gerücht vom Frieden immer weiter entfernt. Da ist es fast schon zwangsläufig, dass auch gestorben wird. Schließlich kommt kein Krieg ohne Tote aus.
Unterleuten nimmt seine Leser mit in die Unterleutener Heide mitsamt aller zwischenmenschlichen Verwerfungen. Es ist egal, wo man das Dorf ansiedelt: Zerwürfnisse, wie sie in diesem Roman geschildert werden, gibt es zuhauf auch woanders. Auch das Thema, das hier wie der Funke an der Lunte wirkt, ist austauschbar: In Unterleuten ist es ein Windpark, in anderen Orten sorgen Neubaugebiete oder neue Straßen dafür, dass Nachbarn aufeinander losgehen. Juli Zeh hat ihren Roman spannend auf mehr als 630 Seiten inszeniert und durch überraschende Wendungen, von denen oft nur der Leser erfährt, dafür gesorgt, dass es nie langweilig wird.
Ein großer Roman, der das Dorfleben glaubwürdig und authentisch einfängt. Die wirtschaftlichen Zwänge, die nur marginal die über Jahrhunderte festgefahrenen Strukturen beeinflussen, sind Anlass und Auslöser für die akute Krise. Der Windpark – ein hochaktuelles Thema und landauf landab Zerreißprobe für viele kleine Gemeinschaften mit sich widersprechenden Erwartungen und Bedürfnissen – kann tauglich das Chaos auslösen. Dabei bleiben die Figuren mit all ihren Eigenarten, Unzulänglichkeiten und ihrem oftmals irrationalen Verhalten jedoch immer im Vordergrund. Sie sind das Zentrum, in ihren Eigenarten individuell und doch repräsentativ für die Menschen, die man überall finden kann. Ein Stück deutsche Geschichte heruntergebrochen auf ein kleines Dorf im nirgendwo und doch symptomatisch für unsere Zeit und beispielhaft für das, was uns bewegt.
Unterleuten ist in gewisser Weise ein Gesellschaftsroman. Er greift viele Themen der Gegenwart in der für Juli Zeh typischen, präzisen Erzählweise auf. Kaum eine beherrscht ihr Handwerk so gut wie sie. Das macht es einem leicht, ihre Bücher zu lesen, sie sind, wie eine Kritikerin vermerkte: Pageturner.
Manchmal aber sind sie mir persönlich auch zu konstruiert, erinnern an amerikanische Schreibratgeber und Diagramme, die den Verlauf einer gelungenen Geschichte verdeutlichen. Es fehlen mir die Abgründe, die Unwägbarkeiten, es fehlt mir die Poesie des Menschseins.
Aber obwohl diese Kritik für mich auch bei Unterleuten zutrifft, ist es ein Buch, das ich gerne gelesen habe, vor allem bis zur Mitte habe ich es verschlungen, weil es intelligent ist und sehr gut geschrieben. Jeder Satz führt unvermeidlich zum nächsten, jedes Kapitel dient der Handlung in beinahe perfekter Weise. Als Leserin geht man nicht eine Zeile verloren. Man wird mit sicherer Hand durch die Handlung geführt. Dass diese Handlung in Brandenburg angesiedelt ist, in einem Dorf, das mich an jeder Ecke an das Dorf erinnert, in dem ich meinen Garten habe, macht die Freude an dem Buch noch größer. Persönlicher Bezug ist ja nie verkehrt, wenn man liest, also zumindest bei mir nicht.
"Die Wahrheit war nicht, was sich wirklich ereignet hatte, sondern was die Leute einander erzählen."
Unterleuten ist ein Buch über die permanenten Missverständnisse, die es zwischen Menschen gibt. Es zeigt, wie oft genug diese Missverständnisse es sind, die ganze Existenzen formen, unter Umständen gar der Sinnlosigkeit entreißen, ganze Lebenszusammenhänge, alles basiert auf Geschichten, die man sich selbst über andere erzählt, die aber nichts mit der Realität zu tun haben müssen und doch glauben wir sie, als wären sie wahr. Diese Geschichten und das daraus resultierende Verhalten kreiert einen großen Teil der menschlichen Realität. Sie sind wie eine Metaebene, auf der wir alle leben, verstrickt in unsere Missverständnisse über uns selbst und andere, weit entfernt von dem entfernt, was sein könnte, wenn die Menschen nicht beständig ihre innere Leere mit Vermutungen füllen würden.
"In den 61 Jahren ihres Lebens und vor allem in den zwei Jahrzehnten seit Püppis Auszug hatte Elena gelernt, dass die wahre Geißel des Menschen Langeweile hieß. Langeweile verdarb den Charakter. Sie weckte die Sehnsucht nach Skandalen und Katastrophen. Friedliche Menschen verwandelten sich in Schandmäuler, die anderen Böses wünschten, nur damit sie etwas zu besprechen hatten. Im Kampf gegen die Langeweile entschied sich, ob man als Teufel oder als Engel durchs Leben ging. Weil Elena dies verstand, hatte sie sich stets verboten, schlecht über Nachbarn zu reden, auch wenn es bedeutete, dass die Leute sie für hochnäsig hielten. Wenn man die Gerüchteküche mied, gab es an Gartenzäunen, Straßenecken oder Doppelkopftischen wenig zu verhandeln."
Menschen erzählen sich in ihren Köpfen und einander Geschichten über ihre Nachbarn, ihre Ehepartner, ihre Freunde, sogar über ihre Kinder und diese Geschichten werden zu Realitäten, weil man diesen Geschichten eher glaubt als nichts über andere zu wissen, ihnen offen und vorurteilslos entgegen zu treten. Dass Fremde sich gegenseitig falsch einschätzen, mag noch klar sein. Aber in Unterleuten erzählt Juli Zeh, wie sehr diese Interpretation des anderen, in die Irre geführt, auch in engsten Beziehungen durchaus den Ausschlag geben kann. Menschen stehen einander nahe und wissen nichts voneinander. Sie sind einander Projektionen der eigenen Befürchtungen und Befindlichkeiten. Dabei gehen sie aber davon aus, alles voneinander zu wissen, und auf dieser Annahme bauen sie ihr Leben, ihr gesamtes Verhalten auf. Unsere Leben basieren zu großen Teilen auf Vorurteilen. Da die meisten Menschen im Kern verletzt und unsicher sind und sich nach Anerkennung und Liebe sehnen, bestehen viele dieser Geschichten aus Unterstellungen von Übervorteilung, Betrug und Gemeinheit, natürlich auch aus Selbstgerechtigkeit. Wer sieht sich nicht gerne als Opfer und bezieht daraus entscheidende Teile seiner Identität? In Unterleuten wimmelt es von Menschen, die sich von anderen mies behandelt fühlen und dafür nach Rache streben.
Kron, der Kommunist, zündete Gombrowskis Heim an, als dieser ein Teenager war, weil die Eltern die Großgrundbesitzer waren, der Sozialismus begann, Kron glaubte, das Eigentum der Kapitalisten vernichten zu dürfen, weil eine neue Ordnung aufzog. Gombrowski, der nach der Wende die alte LPG und damit Arbeitsplätze fürs Dorf retten konnte, indem er sich sie, und somit den alten Familienbesitz, wieder aneignete, weshalb sich Kron als sein Opfer versteht und soweit geht, Gombrowski des Mordes zu bezichtigen. Zu Recht? Unterleuten ist beinahe auch ein Krimi. Der Tote wurde doch von einem Baum erschlagen, in einem Unwetter. Und ist Hilde, die Frau des Toten, wirklich Jahrzehntelang die Geliebte von Gombrowski gewesen? Ist ihre Tochter Betty, die bei Gombrowski arbeitet, auch seine Tochter?
Unterleuten ist ein Gesellschaftsroman, ein großer Wurf, geradlinig und schnörkellos erzählt. Kapitel für Kapitel werden wir durch dieses Dorf und seine Verstrickungen geführt und dieses Dorf ist ein Abbild der ganzen Welt. Mit der Sprache muss man sich nicht lange aufhalten. Sie ist in diesem Buch kein Selbstzweck, sondern exakt konstruiertes Fahrzeug zum Transport einer sehr präzise durchdachten Geschichte, eines Plots. Eine Geschichte über Beziehungen im Hier und Heute vor dem Hintergrund von Ost und West und alten sowie neuen Verstrickungen am Beispiel eines brandenburgischen Dorfes, in dem ein Windpark errichtet werden soll. Wer Brandenburg kennt, seine Windräder vor Landschaft, der weiß, wie nah Juli Zeh die Gegenwart ausgelotet hat. Wer Juli Zeh und ihre Klugheit, sowie ihr gesellschaftliches Engagement kennt, der weiß auch, wie wahr all dies sein könnte. Erfunden und doch wahr.
Das Personal besteht aus alteingesessenen Ossis und neu dazu gezogenen Wessis. Die Ossis teilen sich in ehemals regimetreu und regimekritisch auf, so dass ohne die leiseste Ahnung der Wessis die jahrzehntealten Konflikte unterschwellig mit großer Heftigkeit schwelen. Die Zugezogenen, die diese Konflikte gar nicht verstehen können, die sowieso in Unterleuten sind, weil sie in irgendeiner Form das Paradies und absolute Ruhe jenseits des Leistungsdrucks der Stadt für sich suchen, teilen sich in Träumer und in eher kalkulierende Realisten, die in eben diesem Paradies verwirklichen wollen, was in der Stadt nicht möglich ist.
Schließlich gibt es noch Meiler, den Millionär aus Ingolstadt, der eher zufällig bei einer Versteigerung ein großes Stück Land bei Unterleuten erworben hat. Er hat keine Beziehung zum Ort und doch gehört ihm dort so einiges, welches er eventuell nutzen kann, um seinen drogenabhängigen Sohn in die Familie zurück zu holen.
Die Personen werden, das ist ein geschickter Erzählkniff, sowohl aus der eigenen Perspektive geschildert, als auch mit den Augen der anderen, so dass man ständig die Sichtweise der anderen auf eine Person und ihre Handlungen erfährt, und auch die wirklichen Motive und Gedanken. Dabei ist keine der Personen so sympathisch, dass man sich als Leser jemals ganz mit ihr identifizieren würde. Man muss sagen, dass Juli Zeh ihre Charaktere teilweise auch ein wenig vorführt. Keine kommt dabei so unsympathisch rüber, dass man mit Bestimmtheit sagen würde: so ein Schwein. Naja, vielleicht Gombrowski, der jahrelang Frau und Tochter verprügelt hat, der kommt dem schon sehr nahe, und doch schafft Zeh es, auch ihn aus so vielen Perspektiven zu zeigen, dass er einem eher leid tut. Was ich in einem solchen Zusammenhang auch ein wenig fatal fand.
"Eine Geschichte wird nicht klarer dadurch, dass viele Leute sie erzählen." Nach diesem Motto ist der Roman im Grunde aufgebaut. Alle Protagonisten sind auch Erzähler, beziehungsweise immer abwechselnd, Kapitel für Kapitel, berichtet ein auktorialer Erzähler immer wieder mit einem anderen der Protagonisten im Zentrum. So wird die Geschichte wie ein Puzzlestein zusammen gesetzt. Es entstehen Spannungsmomente, die einen weiterziehen.
Als ein Windpark auf dem Gebiet geplant wird, das zum Teil Meiler gehört, zu einem anderen Gombrowski, Kron und einer Wessipferdefrau namens Linda Franzen, formieren sich die Pro- und Contragruppen schnell, und die Konflikte treten in all ihrer Heftigkeit zutage. Denn ein Windpark kann nur errichtet werden, wenn das Grundstück groß genug ist. Einer muss daher verkaufen. Der Käufer wird reich werden.
Konflikte, die zu einem großen Teil auf den falschen Annahmen der Menschen übereinander basieren, fressen sich immer brutaler ins Sozialgefüge des Dorfes hinein.
So hat Unterleuten fast das Zeug zu einem groß angelegten Lustspiel, mit den ganzen Irrtümern und Verwirrungen, wenn nicht auch eine große Tragik und Ernsthaftigkeit all dem beiwohnen würde. Das Buch zeigt die Komplexität, aber auch die Einfachheit, ja Trivialität menschlicher Motive zu handeln, auch und gerade, wenn es darum geht, groß zu handeln. Eitelkeit, Beleidigtsein, Selbstgerechtigkeit formieren in diesem Roman einen nicht unerheblichen Teil der menschlichen Realität, und wer wagt es, dieser Sicht ernsthaft zu widersprechen?
Dennoch: Vielleicht ist dies der für mich größte Kritikpunkt an der Geschichte: dass Juli Zeh die Handlungsmotive relativ konsequent und fast ausnahmslos alle in diese Richtung schreibt. Das macht beim Lesen eine lange Weile Spaß, weil es unterhaltsam ist, aber ab der Hälfte etwa begann es, mich ein wenig zu nerven. Denn Menschen sind, bei aller Liebe, nicht so eindimensional. Sie sind nicht ständig so berechnend. Deshalb ist für mich der große Wurf, den so viele Rezensenten postulieren, nicht wirklich ganz gelungen. Unterleuten spiegelt uns ein bestimmtes Bild von Menschen zurück, welches relativ negativ, auch ein bisschen lächerlich und wie gesagt, sehr eindimensional bleibt. Es fehlen die Liebe, die Größe, die Tiefe des Menschen. Es stimmt, ich habe, trotz allem, was in den letzten Monaten geschieht, immer noch die rosarote Brille auf und glaube an etwas Großes in den Menschen, in jedem Menschen. Es ist mir in Juli Zehs Roman nicht begegnet. Dort gibt es Mittelmaß und sehr viel Mickrigkeit. Das hat mich irgendwann frustriert. Das Buch erinnerte mich zu weiten Teilen mehr an eine Karikatur als an einen wirklich großen Roman. Die Charakterisierungen der Protagonisten schrammen immer wieder nur sehr knapp am Klischee vorbei. Manchmal landen sie auch mitten darin und das Ende ist sowieso Klischee, wie in der Schreibschule vorgegeben, war es für mich der schwächste Teil des ganzen Buches. Alle Enden noch schnell verknoten, damit keines im Leeren baumelt. So gerne ich, bei aller Kritik, Unterleuten gelesen habe, weil es spannend, unterhaltsam und leicht zu lesen ist, weil es sich wunderbar als Ferien- und Urlaubslektüre zum Wegschlürfen eignet. Es kommt nicht an Juli Zehs Meisterwerke Spieltrieb und Adler und Engel heran und es erfüllt nicht die Kriterien, die ich an einen großen Wurf lege.
Ein großer Dank dem Luchterhand Verlag für das Rezensionsexemplar.
(c) Susanne Becker
Jedes Kapitel widmet sich abwechselnd einem der Dorfbewohner, den der Leser darin so gut kennen lernt, dass er seine Motive gelegentlich fast nachvollziehen will. Wenig später wendet man sich aber beschämt von seiner Lieblingsfigur ab. Diese mit scharfem Blick porträtierten Persönlichkeiten sind das eigentliche Highlight in Unterleuten. Das Geschehen ist punktuell durchaus spannend, kommt sogar (fast) ohne Mord und Totschlag aus, die Unberechenbarkeit der Beteiligten macht den Roman aber erst richtig packend. Eindeutige Sympathieträger sucht man vergeblich, man stellt vielmehr bald fest, dass auch Altkommunisten, Kapitalisten, Naturschützer, linksliberale Bildungseliten, Konservative, Wendeverlierer, Karierrefrauen, Politiker, Unternehmer, Hipster, Streber und schräge Randgestalten unter den richtigen Umständen zum Schlimmsten fähig sind. Ideologie und Idealismus sind hier in der Regel nur Vorwände für das Erreichen der eigenen Ziele. Anhand dieser exemplarischen Mini-Gesellschaft wird ganz nebenbei der individuelle Egoismus als eigentliche Triebkraft und zentrales Übel der Jetztzeit entlarvt.
Fazit: Ein großer Roman, eine kritische Gesellschaftsanalyse, eine romantikbefreite Hommage an Land und Leute und vieles mehr. Juli Zeh hat es spätestens jetzt geschafft, mit vollem Recht in einem Atemzug mit Autoren wie Dave Eggers oder Uwe Tellkamp genannt zu werden. Noch dazu ist ihre gleichzeitg klare und doch poetische literarische Sprache ein Genuss und wiegt sogar einige wenige Flauten in der Handlung wieder auf. Wer Literatur nicht nur zur Gedankenberieselung nutzt, für den ist "Unterleuten" Pflichtlektüre.
Das Buch ist übrigens mehr, als man zwischen den Buchdeckeln findet. Einrichtungen wie der "Märkische Landmann" und die Vogelschutzwarte Unterleuten haben eigene Internetauftritte, einzelne Figuren betreiben eigene Facebookprofile, ein im Buch erwähntes anderes Buch ist tatsächlich erschienen. Deutlicher kann man den Bezug zur realen Welt gar nicht mehr machen.
Seitenzahl: 640
Format: 14,9 x 22,6 cm, gebunden
Verlag: Luchterhand
Unter Leuten
(Luchterhand)
„Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf Unterleuten irgendwo in Brandenburg. Als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Denn da ist nicht nur der Gegensatz zwischen den neu zugezogenen Berliner Aussteigern, die mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten. Da ist auch der nach wie vor untergründig schwelende Konflikt zwischen Wendegewinnern und Wendeverlierern. Kein Wunder, dass im Dorf schon bald die Hölle los ist …
Mit Unterleuten hat Juli Zeh einen großen Gesellschaftsroman über die wichtigen Fragen unserer Zeit geschrieben, der sich hochspannend wie ein Thriller liest. Gibt es im 21. Jahrhundert noch eine Moral jenseits des Eigeninteresses? Woran glauben wir? Und wie kommt es, dass immer alle nur das Beste wollen, und am Ende trotzdem Schreckliches passiert?“ (Luchterhand)
In der Tat ist es ein „großer Gesellschaftsroman“, den die vielfach ausgezeichnete Autorin hier vorlegt. Weniger der Umfang von 634 Seiten, als vielmehr das breite Spektrum menschlicher (und unmenschlicher) Befindlichkeiten und deren bedrückende Entwicklung macht die literarische und psychologische Größe des Werkes aus.
Die Gesellschaft des brandenburgischen Kaffs Unterleuten präsentiert sich in facettenreich ausgearbeiteten Charakteren – das gelingt der Autorin so sorgfältig und anschaulich, dass man sich eigentlich mit keinem von ihnen identifizieren möchte - deren Handeln beobachtet, beschrieben und analysiert wird. Das ist eigentlich alles.
Jedes Kapitel ist aus der Sicht eines anderen Protagonisten erzählt, so dass dem Leser nach und nach verschiedene Sichtweisen und Wertungen der fortschreitenden Handlung präsentiert werden. Das ist an sich reizvoll und abwechslungsreich, die Vielzahl der Charaktere erschwert allerdings mitunter die Orientierung.
„Inzwischen kann ich behaupten, Unterleuten recht gut zu kennen, was nicht bedeutet, dass ich etwas verstanden habe“ resümiert die (fiktive) Erzählerin des Epilogs (S. 628). Diese Erkenntnis wird der eine oder andere Leser teilen.
Dass der Roman stellenweise echte Pageturner-Qualitäten aufweist, liegt eingangs an der Einführung der sehr unterschiedlichen Figuren, die dem Leser von Anfang an ein leichtes Unwohlsein verursacht. Gegen Ende nimmt die Handlung noch einmal deutlich Fahrt auf Richtung Showdown, den manch ein Unterleuter Bürger nicht überlebt.
Dazwischen gibt es Längen im Mittelteil, die der stagnierenden Handlung bei leicht verworrener Figurenführung anzulasten sind – auch eine Kindesentführung hilft hier nicht wirklich weiter.
Im Blick auf Stil und Sprache ist „Unterleuten“ allerdings der pure Genuss. Zwischen zarter Ironie und bitterem Sarkasmus steuert Juli Zeh das Dorf mit seinen Insassen dem vorhersehbaren Kollaps entgegen. Zwischendurch hält eher die sprachliche Ausdruckskraft als die Handlung den Leser am Ball. Manche Passage liest man gleich noch mal – weil es so schön ist.
Über die Buchdeckel hinaus haben Verlag und Autorin keine Kosten und Mühen gescheut, die Unterleuten-Gesellschaft auch in der pseudorealen social-media-Welt zu verorten:
Der fiktive Gasthof des fiktiven Dorfes veröffentlicht seine Speisekarte online („Fischeintopf wieder erhältlich“), einige Romancharaktere betreiben facebook-Profile und auf der Website des fiktiven Vogelschutzbundes (Motto „Bei uns piepts!“) kann man durchaus reale Shirts bestellen…
Größter Kunstgriff ist dabei wohl die reale Veröffentlichung des im Roman viel zitierten „Erfolgs-Ratgebers von Manfred Gortz“ bereits ein Jahr vor Erscheinen des Romans selbst. Selbst die FAZ müht sich, der Autorin im Interview Aussagen über die Existenz des Manfred Gortz und eine potentielle Verbindung zu entlocken – vergeblich.
Wer den Roman mag, hat sicher auch Spaß an diesen Meta-Spielereien. Nötig wäre das nicht gewesen: „Unterleuten“ ist ein starkes Stück Literatur, gesellschaftskritisch und wortgewaltig. „Großer Gesellschaftsroman“ eben, in jeder Hinsicht.
Barbara Hauschild & Christian Funke
Dort leben zwar nicht viele Menschen, doch deckt die Bewohnerschaft die ganze Bandbreite verschiedener Charaktere ab.
Da gibt es zum Beispiel den alteingesessenen Ex-DDR Bürger, der immer noch verbissen an den alten Werten festhält und sich von seinen kapitalistischen Mitmenschen betrogen fühlt, die Großstadtflüchtigen, die der abgeschiedenen, ländlichen Idylle nur positives abgewinnen können, der etwas aggressive, erfolgreiche Geschäftsmann, dem egal was er tut Negatives unterstellt wird, oder die selbstbewusste, aufstrebende, junge Geschäftsfrau, die mit dem "typischen" Frauenbild bricht.
Dieses Dorf mit seiner "illustren" Gesellschaft wird nun, völlig unerwartet, von der Planung eines Windparks bedroht und sofort kocht in dem beschaulichen Unterleuten die Stimmung hoch. Obwohl doch jeder nur das Beste für sich, seine Mitmenschen bzw. für seinen Wohnort will, läuft bald alles gehörig aus dem Ruder.
Ganz unerwartet überzeugte mich Juli Zeh mit einem mitreißenden, flüssigen und verständlichen Schreibstil. Manchmal laut, manchmal aber auch ganz leise zeigt sie sowohl die jeweiligen Charaktereigenschaften ihrer Protagonisten als auch deren Handlungsmotivation auf. Die Autorin widmet sich in jedem Kapitel einer anderen Figur und erzählt die Geschehnisse aus deren Sicht. Dadurch fällt es dem Leser leicht sich in die betreffende Person hineinzuversetzen und muss ihm/ ihr am Ende des Kapitels, zumindest ein bisschen, zustimmen.
Fazit:
Eine faszinierende Geschichte, mit soziologischen Charakter, die mich begeistert hat.
Ich finde: Dieser neueste Roman von Julie Zeh ist einfach großartig und unbedingt lesenswert:
Was als Roman, oder auch als eine Art Stück Aufarbeitung deutsch-deutscher Geschichte beginnt, entwickelt sich nach und nach und immer mehr zu einem äußerst klugen, psychologischen Kammerspiel, über menschliche Abgründe. Der Roman zeigt auf (anfangs sehr subtil, später immer deutlicher und drängender), was Neid und Missgunst, jahrelange, unter der Oberfläche brodelnde, unterdrückte Wut und lang gehegte, unausgesprochene Konflikte, gepaart mit einer gut funktionierenden Gerüchteküche im Menschen an sich und in einer kleiner Dorfgemeinschaft, wo die Nachbarn sich ein Leben lang kennen, anrichten können- wenn man nur einen passenden „Aufhänger“ findet, der den schon lange Zeit vor sich hin schwelenden Vulkan schließlich zum emotionalen Ausbruch bringt.
Und wie erschreckend einfach es ist, eine kleine Gemeinschaft von Leuten so gegeneinander aufzuhetzen und so sich gegenseitig auszuspielen, dass Würde, Freundschaft und Anstand auf der Strecke bleiben- man braucht dazu nur ein paar gezielte Seitenhiebe.
„Unterleuten“ mag zwar an manchen Textstellen etwas überspitzt wirken, aber im Kern trifft Juli Zeh mit ihrer ganz eigenen Beobachtungsgabe völlig ins Schwarze, meiner Meinung nach; sie legt quasi ihren Finger in die noch immer aktuelle, brisante Wunde, die (stellvertretend dafür) das Dörfchen Unterleuten in verschiedene Lager spaltet: Auf der einen Seite stehen die Menschen, die nach der Wende nie mehr so richtig auf die Beine kamen, dann sind da noch die Menschen, die den „alten Zeiten“ nachtrauern, oder die Einwohner, die die „neue Zeit“ als Chance sehen und schließlich kommen noch die vermeintlich reichen Zugezogenen aus dem „Westen“- und mittendrin ein Windpark, der neu gebaut werden soll... Und der letztenendes das Fass zum Überlaufen bringt, bzw. die vor sich hin brodelnden Probleme der Dorfgemeinschaft zum Überkochen. (Denn hier zeigt sich ganz deutlich ein weiteres gesellschaftliches Phänomen: Viele Bürger sind für die Abschaffung der Atomkraftwerke und wollen gerne die Energiewende haben- aber „bitte nicht vor der eigenen Haustür“.)
Beeindruckend finde ich, mit welcher Genauigkeit die Autorin unserer Gesellschaft den Spiegel vorhält: Unwillkürlich musste ich beim Lesen an solche Redewendungen wie „Schuld sind immer die Anderen“, oder „Jeder ist jedermanns Feind“, oder auch „Jeder ist sich selbst der Nächste“ denken, denn solche Sätze werden in diesem großartigen Gesellschaftsroman zur bedrückenden Realität. Toll finde ich den Schreibstil der Autorin: Sie schreibt einfach über gesellschaftliche und persönliche Abgründe, ohne dem Leser ihre eigene, ganz persönliche Meinung aufzudrängen, nein - sie schreibt ganz einfach so, dass man sich beim Lesen in die Protagonisten hineinversetzen kann, ob man dies nun will oder nicht, und Juli Zeh regt mit ihrem Roman „Unterleuten“ zum Nachdenken an.
Also: Wie schon oben gesagt: Unbed
Ganz lustig übrigens: Ich habe das Buch als ebook gelesen, und die erwähnten Hyperlinks im Buch lassen sich tatsächlich anklicken und führen den Leser auf (konstruierte?) Websites zu Windkraftanlagen oder Pferdezüchtern. Witzig. (5/5)
Ausführliche Rezension: http://postmondaen.net/2016/05/29/juli-zeh-unterleuten-dorfroman-im-kommunikationszeitalter/
Ich war ein paar Tage in Unterleuten. Das Dorf in der ehemaligen DDR hat mich stellenweise das Fürchten gelehrt. Wer nun denkt, das fiktive Örtchen in der Priegnitz im westlichen Brandenburg wäre ein lauschiges Plätzchen, liegt falsch! Im Gegenteil! Die Anonymität einer Großstadt lässt einen viel freier leben. Der Lärm und die Menschenmassen sind einkalkulierbar. Den Bürgermeister kennt man selten persönlich.
Damit kann Unterleuten nicht dienen. Die wunderbare Landschaft und die idyllischen Häuschen bergen skurrile Charaktere. Da wird einem Ehepaar, mit einem kleinen Kind, Atemluft und Stille madig gemacht. So etwas passiert, wenn der Nachbar eine Autowerkstatt im Garten nebenan errichtet und oft Rauchschwaden zu den Nachbarfenstern ziehen. Da erübrigt sich das Öffnen der Fenster. Wer tauscht schon gerne Naturluft mit verbranntem Gummi ein? Bei hohen Temperaturen wird das Haus schnell mal zur Sauna.
Wer denkt, in Unterleuten dürfte es kein Problem sein, eine Pferdekoppel zu errichten, wird bald eines Besseren belehrt. Eine Genehmigung von Naturschützern zu erhalten, kann da leicht zu einer Lebensaufgabe werden. Noch dazu, wenn das heiß ersehnte Pferd noch in Berlin lebt.
Die wunderbare Natur, mit ihren seltenen Vögeln, soll mit Windrädern verziert werden. Das führt bald dazu, dass in einigen Dorfbewohnern die korrupte Seite auf Hochtouren läuft.
Die Charaktere und ihre Handlungen kamen mir oft ziemlich aus der Luft gegriffen vor. Nach längerem Überlegen habe ich aber festgestellt, dass jeder solche Menschen kennt. Würde ich heute über die Menschen, die ich bisher in meinem Leben kennengelernt habe, eine Geschichte schreiben, wäre ich auf der Stelle in Unterleuten angekommen. Ich muss sie nicht mal alle persönlich kennen. Mal ganz ehrlich ... können wir immer verhindern, was die Politik uns vorschreibt? Sind wir immer damit einverstanden, welche Veränderung ein Bürgermeister in Städte und kleinere Ortschaften bringt?
Selbst wenn man gute Nachbarn hat, kennt man doch jemanden, der sich mit seinen Nachbarn ständig ärgern muss.
Wer kennt sie nicht, die alte Frau die nur noch für Katzen lebt? Oder eine junge Frau, die einen älteren Mann heiratet? Nicht immer hat die junge Frau einen Grund, zu ihrem älteren Mann aufzuschauen. Das wird besonders in dieser Geschichte deutlich. Oder das junge Paar, wo ein Partner ausschließlich seine eigenen Interessen vertritt. Nicht selten verlässt eine Ehefrau ihren brutalen Ehemann, nach vielen Ehejahren.
Irgendwie ist in Unterleuten einer dem anderen was schuldig. Ein Todesfall ist auch nach Jahren noch nicht geklärt.
Fazit
Ich habe mir die Namen der Personen gespart. Ihr werdet die Leute alle selber kennen lernen. Ich bin mir sicher, Ihr kennt sie schon. Intrigen und eine sehr detaillierte Schreibweise haben Unterleuten zu einem Ort gemacht, den ich jetzt wirklich kenne. Gewalt, Lügen und Intrigen hauchen der Geschichte 635 Seiten Spannung ein.
Hundeliebhaber wird es bei einer bestimmten Szene Tränen in die Augen treiben.
Stimmt, ich wollte keine Namen nennen. Ich habe es mir anders überlegt! Einen nenne ich Euch. Von einem Mann, der mich in dieser Geschichte am meisten beeindruckt hat. Ich wusste lange nicht, ist dieser große, dicke Mann, mit Tränensäcken und Hängebacken, nun eigentlich gutmütig oder gefährlich? Meint er es mit sämtlichen Menschen wirklich gut? Ich dachte eigentlich schon. Er wirkte auf mich oft unbeholfen und traurig. Wie ein armes Hündchen kam er mir vor. Sein Name ist: GOMBROWSKI!!!!
Gombrowski hat mich am Ende total schockiert! Ich habe mich sehr geekelt. Ihr werdet Euch auch ekeln! Sagt bitte hinterher nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt!
Juli Zehs Gesellschaftsroman wird nicht umsonst so hochgelobt. Mich konnte die Geschichte überzeugen.
Vielen Dank Juli Zeh. Unterleuten ist eines der besten Bücher, die ich bisher gelesen habe.
Mein Dank gilt dem Luchter-Verlag
Ich war ein paar Tage in Unterleuten. Das Dorf in der ehemaligen DDR hat mich stellenweise das Fürchten gelehrt. Wer nun denkt, das fiktive Örtchen in der Priegnitz im westlichen Brandenburg wäre ein lauschiges Plätzchen, liegt falsch! Im Gegenteil! Die Anonymität einer Großstadt lässt einen viel freier leben. Der Lärm und die Menschenmassen sind einkalkulierbar. Den Bürgermeister kennt man selten persönlich.
Damit kann Unterleuten nicht dienen. Die wunderbare Landschaft und die idyllischen Häuschen bergen skurrile Charaktere. Da wird einem Ehepaar, mit einem kleinen Kind, Atemluft und Stille madig gemacht. So etwas passiert, wenn der Nachbar eine Autowerkstatt im Garten nebenan errichtet und oft Rauchschwaden zu den Nachbarfenstern ziehen. Da erübrigt sich das Öffnen der Fenster. Wer tauscht schon gerne Naturluft mit verbranntem Gummi ein? Bei hohen Temperaturen wird das Haus schnell mal zur Sauna.
Wer denkt, in Unterleuten dürfte es kein Problem sein, eine Pferdekoppel zu errichten, wird bald eines Besseren belehrt. Eine Genehmigung von Naturschützern zu erhalten, kann da leicht zu einer Lebensaufgabe werden. Noch dazu, wenn das heiß ersehnte Pferd noch in Berlin lebt.
Die wunderbare Natur, mit ihren seltenen Vögeln, soll mit Windrädern verziert werden. Das führt bald dazu, dass in einigen Dorfbewohnern die korrupte Seite auf Hochtouren läuft.
Die Charaktere und ihre Handlungen kamen mir oft ziemlich aus der Luft gegriffen vor. Nach längerem Überlegen habe ich aber festgestellt, dass jeder solche Menschen kennt. Würde ich heute über die Menschen, die ich bisher in meinem Leben kennengelernt habe, eine Geschichte schreiben, wäre ich auf der Stelle in Unterleuten angekommen. Ich muss sie nicht mal alle persönlich kennen. Mal ganz ehrlich ... können wir immer verhindern, was die Politik uns vorschreibt? Sind wir immer damit einverstanden, welche Veränderung ein Bürgermeister in Städte und kleinere Ortschaften bringt?
Selbst wenn man gute Nachbarn hat, kennt man doch jemanden, der sich mit seinen Nachbarn ständig ärgern muss.
Wer kennt sie nicht, die alte Frau die nur noch für Katzen lebt? Oder eine junge Frau, die einen älteren Mann heiratet? Nicht immer hat die junge Frau einen Grund, zu ihrem älteren Mann aufzuschauen. Das wird besonders in dieser Geschichte deutlich. Oder das junge Paar, wo ein Partner ausschließlich seine eigenen Interessen vertritt. Nicht selten verlässt eine Ehefrau ihren brutalen Ehemann, nach vielen Ehejahren.
Irgendwie ist in Unterleuten einer dem anderen was schuldig. Ein Todesfall ist auch nach Jahren noch nicht geklärt.
Fazit
Ich habe mir die Namen der Personen gespart. Ihr werdet die Leute alle selber kennen lernen. Ich bin mir sicher, Ihr kennt sie schon. Intrigen und eine sehr detaillierte Schreibweise haben Unterleuten zu einem Ort gemacht, den ich jetzt wirklich kenne. Gewalt, Lügen und Intrigen hauchen der Geschichte 635 Seiten Spannung ein.
Hundeliebhaber wird es bei einer bestimmten Szene Tränen in die Augen treiben.
Stimmt, ich wollte keine Namen nennen. Ich habe es mir anders überlegt! Einen nenne ich Euch. Von einem Mann, der mich in dieser Geschichte am meisten beeindruckt hat. Ich wusste lange nicht, ist dieser große, dicke Mann, mit Tränensäcken und Hängebacken, nun eigentlich gutmütig oder gefährlich? Meint er es mit sämtlichen Menschen wirklich gut? Ich dachte eigentlich schon. Er wirkte auf mich oft unbeholfen und traurig. Wie ein armes Hündchen kam er mir vor. Sein Name ist: GOMBROWSKI!!!!
Gombrowski hat mich am Ende total schockiert! Ich habe mich sehr geekelt. Ihr werdet Euch auch ekeln! Sagt bitte hinterher nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt!
Juli Zehs Gesellschaftsroman wird nicht umsonst so hochgelobt. Mich konnte die Geschichte überzeugen.
Vielen Dank Juli Zeh. Unterleuten ist eines der besten Bücher, die ich bisher gelesen habe.
Mein Dank gilt dem Luchter-Verlag
Fazit: Juli Zehs Roman »Unterleuten« ist ein großer Gesellschaftsroman, der durch die Aktualität der Handlung, seinen feinen Humor und seine Scharfzüngigkeit besticht. Warum auf »Unterleuten« noch kein Regen an Auszeichnungen niederging, kann ich nicht begreifen. Die Autorin nutzt ihre besondere Fähigkeit, starke Figuren in allen Nuancen der menschlichen Zwischentöne zu zeichnen. Die Spannung wird über mehr als 600 Seiten gehalten und der Leser immer wieder mit sich selbst konfrontiert, denn Juli Zeh gelingt es, noch Sympathien für die verachtenswertesten Charaktere zu wecken und zwingt damit den Leser aus der Komfortzone sichergeglaubter Positionen. Ein Roman, den ich jedem empfehlen kann, der spannende Bücher mit einprägsamen Charakteren, Niveau und Humor mag! Ein großer Wurf!
Die ganze Rezension lesen Sie unter https://www.kultumea.de/2016/05/24/rezension-zu-juli-zehs-roman-unterleuten-einer-soziologischen-studie-eines-mikrokosmos/?preview=true
In Unterleuten ist man Unter Leuten. So viel zum Wortwitz. Auf den ersten Blick sind diese Leute vielfältig. Neu Zugezogene aus der Großstadt, die im Kampf mit den Alteingesessenen bereit von vorne herein verloren haben, der ewig wiedergewählte Bürgermeister, der komische Kauz, der Großgrundbesitzer und ihre Anhänger. Und dann ist da noch die Pferdeflüsterin, die in allen Menschen doch auch nur Pferde sieht. Und Macht heißt, zu bewegen. Also bewegt sie.
Wer hier tatsächlich wen beweg und in welche Richtung ist ausschlaggebend, um hinter die Fassade zu blicken. Mehrere personale Erzähler kommen hier zusammen, begleiten stets eine der Figuren. Dass tatsächlich ein Ich-Erzähler dahinter steckt – ein netter Trick, denn Zeh beispielsweise schon in Spieltrieb angewandt hat – erkennt der Leser erst zum Ende. Dann kommt die Zusammenfassung, ein bisschen Jura, ein trockenes Ende, die Distanz zur Geschichte und den Figuren, die nach dem grausigen und extremen Höhepunkt auch bitter nötig ist.
Unterleuten zieht in den Bann. Das Dorf seine Bewohner, das Buch seine Leser. Es zeichnet das Große im Kleinen wieder, die Welt ist ein Dorf und dieses Dorf heißt Unterleuten. Nichts mehr und nicht weniger. So gekonnt ist dieses Bild, so ausführlich, realistisch, unnachgiebig, dass jeder sich irgendwo wiederfinden kann. Tatsächlich schafft Zeh es, den Dorfverrückten vernünftig zu zeigen, den Dorfteufel als verdrehten Mephisto, der Gutes will und Böses tut. Gerade so viel Verständnis, so viel Nähe, erlaubt die Geschichte, dass der Sprung zum Mitleid mit einem Mann, der Frau und Kind schlägt, ein kurzer wäre. Den letzten Schritt verweigert der personale Erzähler trotzdem, gerade weil er wertungsfrei bleibt.
Diese große Stärke des zehschen Stils ist ihren Lesern bekannt und triumphiert auch hier. Unterleuten gewährt einen geradezu erschreckenden und einnehmenden Einblick in Gesellschaft per se, führt den Leser in die Enge, die eigene Dynamik des dörfischen Lebens und klammert so paradoxerweise das Außen aus, zu dem er gehört. Ein mitreisender, ein großartiger und bewegender Roman, der Mensch und Gesellschaft auf eine einmalige Art und Weise zeigt, das Böse im Kleinen, das Richtige im Aufgeben, die Hoffnung im Ende. Jeder sollte dieses Buch gelesen haben.
Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf "Unterleuten" irgendwo in Brandenburg. Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Dorf wirft, ist bezaubert von den altertümlichen Namen der Nachbargemeinden, von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten, von den kleinen Häusern, die sich Stadtflüchtlinge aus Berlin gerne kaufen, um sich den Traum von einem unschuldigen und unverdorbenen Leben außerhalb der Hauptstadthektik zu erfüllen. Doch als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Denn da ist nicht nur der Gegensatz zwischen den neu zugezogenen Berliner Aussteigern, die mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten. Da ist auch der nach wie vor untergründig schwelende Konflikt zwischen Wendegewinnern und Wendeverlierern. Kein Wunder, dass im Dorf schon bald die Hölle los ist …
Meinung:
An diesem Buch kommt man im Moment ja kaum vorbei, ist es doch in aller Munde. Und auch ich wollte es unbedingt lesen und mitreden können. Schließlich ich man ja selber "vom Lande" und gespannt auf die Machenschaften.
Im Roman starten wir auch direkt mit der ersten "Fehde". Das Ehepaar Fließ könnte so schön am Ortsrand wohnen, wäre da nicht der ungeliebte Nachbar Schaller, deine eine mehr oder weniger legale Autowerkstatt betreibt und das idyllische Landschaftsbild mit seinem Schrott verschandelt. Schallers Umbaumaßnahmen am Hof will der Vogelschützer Fließ amtlich stoppen lassen, woraufhin Schaller Autoreifen anzündet, um die Familie "auszuräuchern". Doch dieser Kleinkrieg ist nicht der Einzige im Roman. Viele kleine private Streitigkeiten laufen hier zusammen und gipfeln zu einer großen Schlacht aus, als es um die Vergabe eines Windparks geht. Ein mögliches Gebiet, drei Parteien und deren Grundstücke, Windkraftgegner und Privatkriege kommen hier zusammen und lassen Unterleuten zu einem Hexenkessel werden.
Juli Zeh hat mit diesem Roman sehr starke, gut strukturierte und authentische Charaktere geschaffen. Von jedem Beteiligten bekommt der Leser ein klares Bild vor Augen und obwohl mir persönlich nicht jeder Charakterzug zugesagt hat, konnte ich doch jede Motivation und Einstellung nachvollziehen. Und das nicht nur bei den vielen Hauptfiguren, auch bei den Nebendarstellern entstand mühelos diese Empathie. So etwas passiert mir selten beim Lesen.
Sowieso strotzt dieser Roman vor lauter kritischen und thematisch passenden Aussagen und Ansichten. Am liebsten wäre ich mit einem Marker durch den Roman gegangen um auch ja keine Passage zu verpassen. Da ich aber Kritzeleien in Büchern nicht ausstehen kann, habe ich es verständlicherweise gelassen :) Den Schreibstil der Autorin kann man nur als fesselnd bezeichnen. Klug und eloquent hat Juli Zeh mich von der ersten bis zur letzten Seite an das Buch gefesselt. Der Plot ist gut durchdacht, spannend, wendungsreich, überraschend und verdammt gut recherchiert. Und obwohl die Handlung in Brandenburg spielt und somit auch den Ost-/Westkonflikt mit aufgreift, hätten viele Szenen genauso gut auch meiner eigenen, ländlichen Haustür ereignen können. Einzig dass einige Fragen am Ende noch offen blieben hat mich etwas gestört. Da hätte ich es schön gefunden, wenn diese auch noch geklärt worden wären. Da diese aber für die Haupthandlung nicht von Belang sind, muss da wohl meine Fantasie herhalten.
Die Kapitel an sich haben eine angenehme Länge. Oft enden diese meist relativ offen, was die Spannung zusätzlich erhöht, denn man erfährt erst nach und nach, was eigentlich passiert ist. Erzählt wird in der dritten Person, wobei die Sichtweise in jedem Kapitel wechselt und viele Charaktere zu Wort kommen. So erhält am als Leser eine gute Übersicht über alle Ereignisse. Trotz der Vielzahl an Personen fiel es mir nicht schwer den Überblick zu behalten. Und wer trotzdem mal nachschauen muss, wer hier wer ist, der kann auf der Internetseite: http://www.unterleuten.de/ neben einem Glossar auch eine Flurkarte zur besseren Orientierung in Unterleuten finden. Außerdem lohnt es sich, alle im Links im Buch mal aufzurufen und sich zur weiteren Recherche einladen zu lassen ;)
Vielen Dank an den Luchterhand Verlag für das Rezensionsexemplar.
Fazit:
Dieser Roman wird nicht umsonst so hoch gelobt. Sprachlich ein Meisterwerk, fesselnd wie ein Thriller, kritisch und pointiert. Der Kleinkrieg in Unterleuten ist kein Einzelphänomen und kann in dieser oder ähnlicher Art überall, nicht nur "drüben" passieren. Großartig!
Von mir gibt es 5 von 5 Punkten.
Die wechselnden Perspektiven machen "Unterleuten" sehr lebendig. Die Darstellung und Handlungen der verschiedenen Protagonisten hauchen wirklich Leben ein und verdeutlichen immer wieder, dass die Welt in "Unterleuten" stehengeblieben ist. Kommunist trifft auf Neureiche und das Chaos ist vorprogrammiert, denn plötzlich weht ein ganz anderer Wind und für Erneuerungen sind die Menschen nicht bereit. Es werden Dinge aufgegriffen, die oftmals in Vergessenheit geraten sind und dennoch zu unserem Zeitgeschehen hinzugefügt werden müssen. Lehrreich, amüsant und absolut lesenswert! Leseempfehlung!
Ihre Spaß vermissenden Kritiker wird Juli Zeh mit ihrem neuen Roman sicher nicht umstimmen können, auch wenn der meines Erachtens sehr unterhaltsam, amüsant und zudem auch noch spannend daherkommt. Es ist eine Moritatengeschichte über ein Soziotop, ein Kaff, ca. eine Autostunde von der Hipster-Metropole Berlin entfernt, bewohnt von gottverlassenen (es gibt zwar eine Kirche, aber offenbar keine Kirchenvertreter) Hinterwäldlern, die es nicht mal für nötig befinden, eine Kanalisation in ihrer Idylle der Ursprünglichkeit bauen zu lassen. Das Idyllische und Ursprüngliche zieht denn auch noch ein paar das Landleben verklärende Aussteiger an.
Das Panoptikum an Dorfbewohnern, das Juli Zeh zusammenstellt und aus deren jeweiligen Blickwinkeln sukzessive die Geschichte kapitelweise und chronologisch erzählt wird, entspricht im etwa dem, was ein ARD-Castingteam für eine mögliche Vorabendserie „Vorpommern“ zusammenstellen würde. Im Mittelpunkt stehen zwei alte Männer, die seit Generationen die verfeindeten Machtzentren im Dorf bilden. Da ist zum einen Gombrowski, Spross eines Großgrundbesitzers, dessen Besitztum ihm zwar während der DDR-Zeiten enteignet wurde, der jedoch traditionell die Macht im Dorf als Leiter der daraus sich bildenden LPG innebehielt. Sein Widersacher ist Kron, ehemalige Brigadeführer in der LPG, dessen Neid und Wut gegenüber Gombrowski sich mit jeder politischen und aktuell wirtschaftlichen Wende steigert. Denn Gombrowski bleibt auch nach der Wiedervereinigung der bestimmende, Arbeit gebende Mann im Dorf, dem es mit seiner Gefälligkeiten-Philosophie geschickt gelingt, viele Menschen loyal an sich zu binden.
Dieses antagonistische Konstrukt zwei Machtmänner in einem Dorf erinnert mich an die herrlich komischen, italienischen Filmhelden in meiner Kindheit: Don Camillo und Peppone. Doch während dort die Konflikte komödiantisch gelöst werden und der Autor Giovannino Guareschi unterschwellig geschickt seinen Landsleuten vermittelt, dass nicht Ideologien, sondern Humanität am Ende gewinnt, endet hier die Geschichte von „Unterleuten“ tragisch und hoffnungslos. Und da dies letztlich auch eine Moral von der Geschichte ist, könnten die Kritiker von Juli Zeh wieder fehlenden Humor anprangern.
Auch in dem Dorf „Unterleuten“ leben – wie überall – nun mal überwiegend Spaßverderber, oder wie der im Roman öfter zitierte Erfolgsguru Manfred Gortz sagen würde: Killjoys. Die Killjoys machen den wenigen Movern in unserer Gesellschaft das Leben verdammt schwer. Unabhängig ob Frau oder Mann, alt oder jung, Wessi oder Ossi, Bauer oder Dozent, die meisten sind Jammerer und Hasenfüße, die das ihnen bekannte Unglück der vagen Chance auf das Glück vorziehen.
Und schlimmer noch: Killjoys verderben anderen auch noch den Spaß, den sie selbst nicht haben. Der Prototyp hierfür ist Gerhard, ein ausgestiegener Soziologie-Dozent, der mit seiner 20 Jahre jüngeren Frau Jule und dem Baby Sophie als Vogelschützer sich in dieser vermeintlichen Idylle niedergelassen hat. Im Gegenteil dazu gibt es die rare Spezies der Mover, die sich nicht von Zweifeln und dialektischen Bedenken bremsen lässt, sondern deren Zugehörige fokussiert ihre Ziele vor Augen haben, vorangehen und überzeugt davon sind als Beweger sowohl ihre und damit auch die Welt im allgemeinen besser zu machen. Den „Mover“ in Unterleuten repräsentiert – neben dem alten Gombrowski – die junge, zugezogene Linda Franzen, die auch ganz beseelt von Manfred Goltz Erfolgsphilosophie ist. Die Mitzwanzigerin hat nur ein Ziel: mit ihrem schon lange gehegten Hengst ein Gestüt in Unterleuten zu begründen. Menschen werden von einem Mover wie ihr nur danach wertgeschätzt wie nützlich bzw. hinderlich sie für das Erreichen ihres Ziels sind.
Diese abgeklärte, junge Generation taucht in Unterleuten auch in Person des Vertreters eines Windkraftanlagenbetreibers namens Pilz auf. Arne, der Bürgermeister von Unterleuten, staunt nur:
„Die jungen Leute von heute besaßen erstaunliche Talente. Zum Beispiel ungeheure Effizienz bei vollständiger Abwesenheit von Humor. Einem wie Pilz ging es nicht mehr ums gute Leben, es ging ihm nicht einmal um Geld. Was diese Generation antrieb, war der unbedingte Wunsch, alles richtig zu machen.“
Juli Zeh erzählt sehr klug und vielschichtig. Man kann den Roman zunächst als gesellschaftliche Analogie lesen. Ob zeitlos oder eher zeitgeistig ist wohl individuell unterschiedlich. Ich las über einen ebenso archaischen wie auch anarchischen Mikrokosmos, der mir die Dynamik veranschaulicht, wie sich in Gesellschaften immer wieder Machtverhältnisse ausbilden, die sich über kurz oder lang in brutalen Konflikten entladen.
Man kann den Roman auch als psychologische Studie aktueller Stereotypen in unsere Gesellschaft lesen. Jede Figur repräsentiert da wohl eine von den im Mainstream sich aktuell herausbildenden Soziotypen. Interessant hierbei ist, dass eigentlich keine Figur so angelegt wurde, dass man sich mit ihr identifizieren mag. Das sollte uns als Leser selbstkritisch werden lassen. Ein Spiel ließe sich unter mitlesenden Freunden veranstalten. Veranschaulichen wir uns – vielleicht nicht schmeichelhaft – unser Fremdbild: jeder soll die Figuren/Rollen im Roman mit seinen Freunden besetzen. Das kann man anonym austauschen und erfährt vielleicht so, welchen Stereotyp man aus Sicht seiner Freunde repräsentiert.
Nicht zuletzt kann man „Unterleuten“ auch als Schauerballade und Abgesang auf die verklärte Landliebe lesen. Die naive Sehnsucht nach der (noch) heilen Welt wird hier herbe ernüchtert von einer, die es bekanntlich wissen muss: Juli Zeh lebt ja seit einige Jahren auf dem Land. Ich denke, sie wird dort aber dennoch auch ihren Spaß haben.
Es ist ein intelligent konstruierter und in klarer, flüssiger Prosa formulierter Gesellschaftsroman mit vielen gleichberechtigten Akteuren, die alle eins vereint: sie entwickeln sich nicht. Alle treten am Ende aus der Geschichte genauso heraus wie sie eingetreten sind. Manche fliehen, manche sterben und andere bleiben. Doch keiner hat etwas dazu gelernt, keiner hat Einsichten erlangt, keiner verändert sich.
Es ist also kein Entwicklungsroman. Das macht es leicht, den Roman zuzuklappen und sich zu denken: Nicht meine Welt. Doch eines sollte man sich danach beantworten können: Bin ich ein Killjoy oder ein Mover? Oder gleich den Ratgeber „Dein Erfolg“ von Manfred Gortz lesen.
Die Bewohner von Unterleuten haben wechselhafte Zeiten hinter sich. Zumindest ein Teil von ihnen. Bezahlte Arbeit war und ist knapp, im Wesentlichen leben sie von den Erträgen ihres Grund und Bodens. Die Enteignungen im Zuge der Zwangskollektivierung in den sechziger Jahren haben sie weggesteckt, ebenso die Umverteilungen nach der Wende. Natürlich gibt es innerhalb des Dorfes Gewinner und Verlierer, und die daraus entstandenen Animositäten prägen den Umgang miteinander. Und dann sind da noch die Zugezogenen, Stadtflüchtlinge aus Berlin, die in Unterleuten ihren Traum vom Landleben verwirklichen möchten. Konflikte mit den Alteingesessenen sind hier schon fast vorprogrammiert. Es geht um Rivalitäten, um Intrigen, um Wendegewinner und Altkommunisten, um Abhängigkeiten finanzieller und emotionaler Natur, um Liebe und Hass. Und um einen projektierten Windpark und somit natürlich um Geld.
Es sind sehr unterschiedliche Charaktere, die die Handlung tragen: Jule und Gerhard, sie eine Übermutter in Reinkultur, er ein verkrachter Soziologe, der nun als Vogelwart die seltene Spezies der Kampfläufer in der Unterleutner Heide schützt und sämtliche Bebauungswünsche der Einwohner durch Einsprüche blockiert. Linda, von ihrem Partner insgeheim „Rossfrau“ genannt, eine willensstarke Pferdeflüsterin aus Berlin, die sich und ihren Vierbeiner in der Villa Kunterbunt ein neues Heim schaffen möchte. Grombowski, Großgrundbesitzer und Geschäftsführer der Ökologica, schon zu DDR-Zeiten auf der Siegerstraße, der skrupellos in der Wahl seiner Mittel ist. Kron, ein kämpferischer Altkommunist, vom Leben gezeichnet und seiner Behinderung gehandicapt. Und Schaller, ein Typ raue Schale, weicher Kern, der begnadete Mechaniker und Nachbar von Jule und Gerhard, die ihn nur „das Tier“ nennen - meine Lieblingsfigur.
Die Autorin lässt in ihrem umfangreichen Roman einen auktorialen Erzähler die Geschehnisse aus den wechselnden Perspektiven der Unterleutner schildern. Die einzelnen Kapitel sind jeweils mit dem Namen des Protagonisten überschrieben, sodass die Zuordnung sehr einfach ist. Der Leser entwickelt Nähe zu diesen Menschen, aber kaum Sympathien, da (fast) jeder in Unterleuten seine eigenen Ziele verfolgt.
Sie geizt auch nicht mit spitzen Bemerkungen zur politischen Situation in diesem unserem Lande, aber immer in dem passenden Kontext. Natürlich kann sie das eine oder andere Klischee nicht vermeiden, wenn Stadt und Land aufeinandertreffen. Aber darüber kann und sollte man großzügig hinwegsehen, es fällt auch kaum ins Gewicht. Juli Zeh hat mit „Unterleuten“ einen Gesellschaftsroman geschrieben, wie man es in erster Linie von den amerikanischen Autoren kennt. Mir fällt hier spontan Jonathan Franzen ein. Ein großer Wurf von einer der besten Autorinnen, die wir momentan in Deutschland haben – Lesen!
Juli Zeh ist mit „Unterleuten“ das Portrait einer fragilen Gesellschaftsstruktur gelungen, die sich plötzlich in einem Kampf wiederfindet. Systematisch legt sie die Schwachstellen einer Gesellschaft offen, die ohne Außenkontakt völlig in sich selbst verkeilt scheint. Personen, die von außerhalb in den Ort gezogen sind, stehen am Anfang noch distanziert am Rande und glauben, sich in diese Struktur nicht hereinziehen lassen zu wollen, doch unglaublich schnell finden sie sich selbst als Teil dieses Abhängigkeitssystems wieder, das am Ende in einen Kampf auf Leben und Tod endet. Frei nach dem Motto „Was ich nicht bekomme, soll auch keiner anderer haben!“ schraubt sich das Aggressionspotenzial sowohl im Subtilen als auch in offener Gewalt auf einer nach oben scheinbar offenen Skala immer weiter hoch, bis Entscheidungen getroffen werden, die zu Beginn noch keiner für möglich erachtet hätte.
Die Autorin beschreibt beeindruckend kühl und distanziert vom Niedergang der menschlichen Gemeinschaft angesichts der Aussicht auf Geld und Einfluss. Deprimierend einfach zerlegt sie die gesellschaftlichen Strukturen, bis am Ende nur noch Individuen stehen, die hilflos um sich schlagend ihre Position verteidigen. „Unterleuten“ ist ein großer Roman über die großen Probleme der Gesellschaft und in seiner gleichzeitig mitreißenden und spannenden Schreibweise ganz sicher herausragend in der aktuellen Literaturlandschaft.
Ob Vorratsdatenspeicherung, NSA-Affäre oder sonstige politische Debatten – Juli Zeh saß in gefühlt jeder zweiten TV-Talkrunde mit im Stuhlkreis. Wenn ich ihr engagiertes, sendungsbewusstes Gesicht sah, habe ich regelmäßig umgeschaltet. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, ein Buch von ihr zu lesen.
Doch dann habe ich auf einem Blog die erste hymnische Besprechung über ihren neuen Roman gelesen. Ein paar Tage später noch eine und dann noch eine. Und da kam ich dann schon ins Grübeln. Sollte ich vielleicht mal mein Urteil überdenken? Schließlich hatte ich Juli Zeh bisher noch gar nicht als Autorin, sondern nur als nervige TV-Debattiererin kennengelernt. Im Zweifel könnte ich ja meine Antipathie weiterführen und einen schönen Verriss schreiben. In einem Anflug von Altersmilde bestellte ich mir also das Buch, auch um mal zu schauen, was an Volker Weidermanns Zitat auf dem Backcover dran ist, der da sagt: “Im Grunde ist Juli Zeh genau jene Schriftstellerin, nach der sich alle sehnen.”
Eines kann ich schon mal vorwegnehmen. Weidermann hat Recht. Juli Zeh ist eine grandiose Schriftstellerin. Ihr Roman hat alles, was ein großer Gesellschaftsroman haben muss: Ein glaubwürdiges Setting, vielschichtige und interessante Charaktere, einen spannenden Plot mit aktuellen Bezügen und einen lebendigen, flüssigen und abwechslungsreichen Erzählstil. Das alles lässt einen Seite für Seite wie im Rausch umblättern. Ja, Unterleuten ist ein echter Pageturner. Kommt dick daher wie ein Tausendseiter, erscheint einem beim Lesen wie ein dünner Zweihundertseiter, hat aber tatsächlich 635 Seiten. Man bleibt dran, ist am Haken und hat in ein paar Tagen diesen Roman ausgelesen. Und seien wir doch mal ehrlich, das ist doch genau das Leseerlebnis, wonach wir alle immer wieder suchen. Dieses Eintauchen, dieses Sich-Verlieren in einer Geschichte, lesen bis einem spät in der Nacht die Augen zufallen, nur um morgens beim ersten Kaffee schon wieder weiterzulesen. Lesen in der Mittagspause, lesen als Beifahrer im Auto, in der Bahn und auf dem Klo. Ja, Volker Weidermann hat vollkommen recht – wenn ein Autor oder eine Autorin es schafft, diesen Leseflow zu erzeugen, dann ist das der perfekte Schriftsteller.
Was mich persönlich an diesem Roman so fasziniert hat, ist nicht der Plot, nicht das Setting in der Brandenburgischen Provinz, nein, das waren die Charaktere. Juli Zeh hat sich die Zeit genommen, jeden einzelnen der zahlreichen Romanfiguren detailliert und liebevoll einzuführen. Da ist der alte Kron, einer dieser Hundertprozentigen aus der alten DDR, einer, der das alte Regime, die alte Ordnung noch immer in sich trägt. Oder sein Gegenspieler Gombrowski, ein Bär von einem Mann, einer der alles aufgrund seiner schieren Leibesfülle dominiert, einer der sich einsetzt, der alles gibt, Gutes tut, aber was auch immer er auch tut, immer Feindbild bleibt. Oder Jule und Gerhard, ein stadtflüchtendes Akademiker-Paar, er alt, sie jung, mit Kind und Tragetuch. Dann wären da noch Frederic und Linda, er Computernerd und Spieleentwickler, sie Pferdeflüsterin und dominante Powerfrau, die rücksichtslos ihre Interessen durchsetzt. Alle diese Figuren, ihre Denkmuster, Zwänge und Handlungsroutinen lernen wir im Verlauf dieses Romans detailliert kennen. Juli Zeh baut auf, beschreibt, berichtet und erzählt ihre Geschichte auf eine angenehm zurückhaltende Weise. Ich hätte jetzt klare politische Standpunkte erwartet, das mir aus den TV-Talkshows bekannte Sendungsbewusstsein, aber nichts davon. Ich fühle mich als Leser nicht gedrängt, nicht in eine bestimmte Richtung manövriert. Zeh legt selbst die Figuren, die nicht ihrem gesellschaftspolitischen Weltbild entsprechen, mit großer Empathie und Sympathie an.
Ich muss sagen, das hätte ich jetzt nicht erwartet. Ich hatte Juli Zeh als Überzeugungstäterin eingestuft, eine, die jedem immer und überall ihre Weltsicht aufs Auge drückt. Eine politische Autorin, die wie Sartre oder Brecht in erster Linie deswegen schreibt, um Missstände anzuprangern, Dinge zu verändern, wachzurütteln. Vielleicht will sie das insgeheim auch, aber wenn, dann lässt sie es sich nicht anmerken. Trotzdem ist Unterleuten ein politischer Roman, hier kommt alles das zusammen, was in unserer Gesellschaft an Kräften agiert. Das Kapital, das Gestern, das Morgen, Ego-Shooter, Verkopfte, Bodenständige, Bestimmer und Befehlsempfänger und der ganze Rest von Menschen, die weder das Eine noch das Andere sind, sondern einfach nur versuchen klar zu kommen.
Und dann ist da noch die nette Posse rund um den Lebensberater und Buchautor Manfred Gortz, dessen Erfolgsformeln rund um Machtmenschen (Movern) und ihren Gegenspielern, den sogenannten Killjoys, im Buch immer wieder zitiert werden. Hier durchbricht Juli Zeh die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit, die Romanwelt tritt ins echte Leben ein. Das zitierte Buch “Dein Erfolg” gibt es wirklich, man kann es kaufen, den Autor Manfred Gortz gibt es aber anscheinend nicht, er scheint eine ausgelagerte Romanfigur zu sein. Wenn es denn so ist, dann wäre das eine interessante literarische Spielart mit Aha-Effekt.
So lass ich mir Gesellschaftskritik gerne gefallen. Gekonnt und intelligent in Szene gesetzt. Natürlich werden auch hier Klischees bedient – der Computernerd, der Investor aus Rüsselsheim, der Möchtegernschriftssteller – aber Juli Zeh verschont uns mit ausgelutschten Phrasen und verknüpft jede Position in der Unterleutener Windkraft-Debatte mit einem persönlichen Schicksal. So durchlebt man mit jeder Figur alle Argumente und versteht auf einmal jeden einzelnen Standpunkt. Das ist grandios und prinzipiell genau das, was uns bei allen öffentlichen Debatten immer wieder fehlt: Verständnis für die Sichtweise des jeweils anders Denkenden. Eigentlich ganz einfach und trotzdem unglaublich schwer.
Ein herrliches Buch!
Unterleuten ist ein kleines Dorf in Brandenburg, nur knapp eine Stunde von Berlin entfernt. Dort können Städter die Ruhe und die Natur genießen. Und genau das tut Prof. Dr. Gerhard Fließ, der seiner Unilaufbahn den Rücken kehrt, um in der Vogelschutzwarte dort zu arbeiten, um die vom Aussterben bedrohten Kampfläufer (die auch auf dem Cover abgebildet sind) zu schützen. Mit dabei sind seine Frau Jule und das Baby. Auch lesen wir von Linda und ihrem Freund Frederik, die gemeinsam Pferde züchten möchten. Also fünf (mit Baby ;-)) zugezogene Städter in der tiefsten Provinz. Wie immer tragen diese natürlich ihre weltmännisch und großstädtisches Gehabe zur Schau, was den Unterleutern erst einmal nicht gefällt. Herrlich idyllisch ;-).
Auf einer Bürgerversammlung wird bekannt, dass eine Investmentfirma am Ort und drumherum Windkraftanlagen bauen wollen. Unklar ist, auf wessen Grundbesitz das ganze stattfinden soll. Nun ist es vorbei mit der Idylle im 250-Seelen-Dorf Unterleuten. Die Bewohner rüsten sich zum Kampf und so kommen längst vergangene und verdrängte Emotionen, Streitigkeiten, alte Verletzungen etc. hervor ... Auch die zugezogenen Städter verstricken sich immer mehr in ein intrigantes Spiel, um das Bauprojekt für sich zu nutzen ... Das scheint das Ende der Dorfgemeinschaft in Unterleuten ...
Ich mag die Schreibe von Juli Zeh sehr gerne, habe alle ihre Bücher gelesen und auch mit "Unterleuten" ist ihr grandiose Literatur gelungen. Klar schreibt sie über eine Dorfgemeinschaft, eine Gesellschaft, die aus Gewinnern und Verlieren, Alten und Jungen, Ost- und Westdeutschen, Städtern und Ländlern ... Sie zeigt, was Gier mit den Menschen macht und Gründe, warum ein Mensch seine selbstgesteckten moralischen Grenzen überschreitet.
Fazit: Ein aktueller, bilanzziehender Gesellschaftsroman, der brandaktuell ist. Formvollendet geschrieben, kein Satz ist zuviel oder zu lang, perfekt seziert sie unsere Gesellschaft mit all ihren unterschiedlichen und gegensätzlichen Facetten. Ein großer Roman über die Schwächen der Menschen - unter Leuten eben ;-)! Absolut und uneingeschränkt lesenswert!
Das schreibt der Luchterhand Verlag:
Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf "Unterleuten" irgendwo in Brandenburg. Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Dorf wirft, ist bezaubert von den altertümlichen Namen der Nachbargemeinden, von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten, von den kleinen Häusern, die sich Stadtflüchtlinge aus Berlin gerne kaufen, um sich den Traum von einem unschuldigen und unverdorbenen Leben außerhalb der Hauptstadthektik zu erfüllen. Doch als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Denn da ist nicht nur der Gegensatz zwischen den neu zugezogenen Berliner Aussteigern, die mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten. Da ist auch der nach wie vor untergründig schwelende Konflikt zwischen Wendegewinnern und Wendeverlierern. Kein Wunder, dass im Dorf schon bald die Hölle los ist
Über die Autorin:
Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren, Jurastudium in Passau und Leipzig, Studium des Europa- und Völkerrechts, Promotion. Längere Aufenthalte in New York und Krakau. Schon ihr Debütroman „Adler und Engel” (2001) wurde zu einem Welterfolg, inzwischen sind ihre Romane in 35 Sprachen übersetzt. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Rauriser Literaturpreis (2002), dem Hölderlin-Förderpreis (2003), dem Ernst-Toller-Preis (2003), dem Carl-Amery-Literaturpreis (2009), dem Thomas-Mann-Preis (2013) und dem Hildegard-von-Bingen-Preis (2015).
Buchinformationen:
Gebundene Ausgabe: 640 Seiten
Verlag: Luchterhand Literaturverlag, erschienen am 8. März 2016
Preis: 24,99 Euro
ISBN-13: 978-3630874876
So denken Gerhard Fließ, der seiner Professur an der Universität den Rücken gekehrt hat und statt dessen in der Vogelschutzwarte der Region arbeitet, um die seltenen Kampfläufer zu schützen, seine Frau Jule nebst frischem Baby sowie Linda Franzen, die das Dorf als Basis ihrer zukünftigen Pferdezucht auswählt und deren Partner Frederik, der eigentlich die Großstadt Berlin liebt.
Die vier Zugezogenen tragen ihre großstädtische Arroganz zur Schau und stiefeln mit Selbstgerechtigkeit durch das Dorf, von dessen Vergangenheit und der der Bewohner sie nichts ahnen. So trügt die Idylle des gemütlichen Landlebens.
Bis eines Tage eine Investmentfirma auf einer Bürgerversammlung bekannt gibt, dass Ort und direkte Umgebung für den Bau von Windkraftanlagen durch Land und Regierung auserkoren wurden. Lediglich die Frage, auf wessen Grundbesitz das Ganze gebaut wird ist noch offen, und somit auch, wer zukünftig ein finanziell gesichertes Leben dank der Windkraft genießen darf.
Vorbei ist es mit der Ruhe in dem 250-Einwohner-Ort.
Die Bewohner gruppieren sich um die Alten Kron und Gombrowski, beides Anführer in der Dorfgemeinschaft und seit Jahrzehnten im Streit liegend. Symbole für die Gewinner und Verlierer der Wende. Sie tragen alte Verletzungen zur Schau, holen nie verjährende Streitigkeiten hervor, deren Narben gerade anfingen zu heilen und beginnen, sich gegenseitig zu vernichten.
Gleichzeitig verstricken sich die neu Hinzugezogenen in eigene und fremde Intrigen, um das Bauprojekt zu ihren eigenen Gunsten zu nutzen. Die Dorfgemeinschaft zerbricht gänzlich, als die Enkelin Krons verschwindet und Unschuldige fast zu Tode geprügelt werden.
Juli Zeh ist mit „Unterleuten“ ein grandioses Stück Literatur gelungen. Ein Gesellschaftsroman, der Bilanz zieht. Mit klarem Blick auf die Konflikte in der deutsch-deutschen Gesellschaft schreibt die Autorin über die schmalen Grade auf den unterschiedlichen Lebensebenen.
Sie beleuchtet die Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland, Stadt- und Landleben, jüngerer und älterer Generation, finanziell gesicherte und ungesicherte Existenzen.
Sie schreibt über die Gewinner und die Verlierer der deutschen Wiedervereinigung, der Umstrukturierung des politischen Systems in Ostdeutschland und die langfristigen Konsequenzen für die Einwohner der neuen Bundesländer. Sie zeigt auf, was den Menschen zu Habgier und Egozentrik verleiten und dabei eigene, auch moralische, Grenzen überschreiten lässt.
Juli Zeh spricht in einer glasklaren Sprache. Keine Endlossätze, die den Leser in der Vielschichtigkeit der Geschichte verstricken. Dafür aussagekräftige Dialoge, Einblicke in die Vergangenheit der Protagonisten in kurzen inneren Monologen oder durch den allwissenden Erzähler.
Die Autorin versteht es, Spannung aufzubauen, ohne den Roman in einen Thriller zu verwandeln.
Sie vermittelt alltägliche Geschehen, die jeden Tag, jeden Einzelnen unserer Gesellschaft widerfahren können und lässt dabei die Hauptfiguren politische und soziale Stellung beziehen und einen Platz in der Gesellschaft finden. Andere wiederum charakterisiert sie meinungslos und situationsentsprechend angepasst.
„Unterleuten“ ist ein Gesellschaftsroman, der der heutigen Zeit entspringt und entspricht. Juli Zeh wählte für ihren Roman essentielle, existentielle und unserer Zeit entsprechende Themen aus.
Leicht hätte dieser Roman trocken und langweilig geraten können. Juli Zeh gelingt es aber, einen kraftvollen, energiereichen, wütenden und auch suchenden Roman zu schreiben, in dem sich der Leser schon nach wenigen Seiten verliert und in allen Gesellschafts- und Moralschichten wiederfinden kann.
Ich ziehe den Hut vor Juli Zeh!
Juli Zeh
„Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf "Unterleuten" irgendwo in Brandenburg. Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Dorf wirft, ist bezaubert von den altertümlichen Namen der Nachbargemeinden, von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten, von den kleinen Häusern, die sich Stadtflüchtlinge aus Berlin gerne kaufen, um sich den Traum von einem unschuldigen und unverdorbenen Leben außerhalb der Hauptstadthektik zu erfüllen. Doch als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Denn da ist nicht nur der Gegensatz zwischen den neu zugezogenen Berliner Aussteigern, die mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten. Da ist auch der nach wie vor untergründig schwelende Konflikt zwischen Wendegewinnern und Wendeverlierern. Kein Wunder, dass im Dorf schon bald die Hölle los ist …“
Nachdem der Roman überall so groß angepriesen worden ist, waren meine Erwartungen natürlich entsprechend hoch. Leider wurde ich sehr enttäuscht.
Ich habe bereits Spieltrieb von der Autorin gelesen, was mir recht gut gefallen hat, aber ‚Unterleuten’ hat mich leider nicht umgehauen.
Der Schreibstil ist gut, aber zeitweise etwas zu geschwollen. Die Handlung zieht sich durch ellenlange Beschreibungen von banalen Dorfstreitigkeiten und spröden Bewohnern. Mir hat so ein bisschen eine spannende Thematik gefehlt und ich konnte mir auf Grund von Geschehnislosigkeit auch die schien unzähligen Namen nicht merken.
Das Buch besteht allein aus der Beobachtung, Analyse und intensiven Beschreibung der Bewohner, die mich aber leider sehr gelangweilt haben. Die besagten Bewohner streiten sich um eine neue Windkraftanlage und alle im Dorf befinden sich deshalb im Zwist. Das wars dann auch schon..
Ich habe einfach mehr erwartet!
3 von 5
„Unterleuten bedeutet Freiheit“ (Gerhard Fließ)
Zwischen diesen zwei Zitaten von Bewohnern des fiktiven Örtchens Unterleuten spielt sich im neuen Buch von Juli Zeh alles ab. Unterleuten liegt irgendwo in Brandenburg, eine Autostunde aber auch eine ganze Welt von Berlin entfernt. Das Dorf ist eigentlich recht pittoresk und wirkt aus der Zeit gefallen (keine Gehsteige, kein gemeinsames Abwassersystem, Lohn und Brot durch die Agrarwirtschaft) – doch wehe man blickt hinter die Fassade.
Der doppeldeutige Titel Unterleuten gibt in diesem Buch eindeutig die Schlagrichtung vor. Juli Zeh lässt vor den Augen des Lesers ein Dorf mit einem Personaltableau entstehen, das so disparat wie funktional ist. Jedes Kapitel wird aus der Sicht eines anderen Dorfbewohners erzählt und so beobachtet man das wunderliche Geschehen, dass sich sukzessive durch immer wieder neue Augen betrachtet ergibt, mit einer Mischung aus Befremden und Faszination,
Das auslösende Momentum für alle Dynamiken, die sich auf über 640 Seiten im Dorf entfalten werden, ist der geplante Bau einer Windkraftanlage. Die Heidelandschaft rund um Unterleuten wurde als Bebauungsgebiet ausgewiesen – diese Pläne lassen nun das ganze Dorf förmlich explodieren. Während die einen um die aus der DDR hinübergerettete Agrargemeinschaft fürchten, sieht ein Vogelschützer die ornithologische Vielfalt in Unterleuten bedroht. Dabei könnte das Geld, das der Bau der Windräder staatlich subventioniert einbrächte, das ganze Dorf auf Vordermann bringen.
Mit großer Lust stößt Juli Zeh den ersten Dominostein in diesem Roman um, dem viele weitere Steine folgen werden. Sie lässt die unterschiedlichen Lebensmodelle aufeinander prallen, lässt Westler an Ostler geraten, lässt Resignierende auf Veränderer stoßen und beobachtet aus den wechselnden Perspektiven, wie sich die ganzen kleinen schlummernden Glutnester langsam zu einem Großfeuer entzünden. Sie arbeitet hierbei auch stark mit den Mitteln der Komödie, denn immer wieder reden die Unterleutner Bewohner aneinander vorbei, wittern Konflikte, wo eigentlich nur Missverständnisse herrschen und manövrieren sich in Situationen, die eigentlich niemand wollte.
Ihr Figuren legt Juli Zeh dabei auch mit einer ordentlichen Lust an der Karikatur an. Im Haus der Vogelschützers (der eigentlich ein gescheiterter Berliner Soziologieprofessor ist) gibt es Hirseauflauf, der Großgrundbesitzer ist feist und versteht es seine Pfründe zu bewahren. Dies ist zwar nicht allzu subtil, macht aber Freude zu lesen. Dieses Dorf könnte man sich auch in einer Serienverfilmung gut vorstellen – hinziehen möchte man aber auf keinen Fall!
Juli Zehs neuer Roman ist ein gelungenes Gesellschaftsporträt und ein echter Schmöker! In kürzester Zeit war ich von der gut konstruierten Story gefesselt. Da sind auch über 600 Seiten kein Problem. Zudem ist Unterleuten aus sprachlicher Sicht keine große Herausforderung, aber bester Juli-Zeh-Stil.
Unterleuten ist ein kleines Dorf in Brandenburg, welches in Zehs Roman zum Brennpunkt gesellschaftlicher, politischer und persönlicher Auseinandersetzungen wird. Es gibt auf der einen Seite die alteingesessenen Bewohner, die beharrlich den Nationalsozialismus, den DDR-Kommunismus und nun den Kapitalismus überdauern. Auf der anderen Seite stehen die neu Zugezogenen, die Stadtflüchter, die ihr Heil in ländlicher Natur suchen. Die Konflikte sind somit vorprogrammiert. Alles eskaliert, als auf der Einwohnerversammlung der Bau eines Windkraftparks angekündigt wird …
“Im Spätkapitalismus gab es keine Gesellschaft mehr, sondern nur noch ein Gesellschaftsspiel, dessen Ziel darin bestand, die kläglichen Überreste von Politik möglichst gekonnt in Unterhaltungswert umzusetzen. Da die Politiker nach eigenem Verständnis ohnehin nichts mehr zu entscheiden hatten, verwandelten sie sich in Politikdarsteller, deren Hauptaufgabe in Emotionstheater, Überzeugungsinszenierung und Entscheidungssimulation bestand. In gewisser Weise war das Kunst. Es gab Empörungsarien, Schuldzuweisungssinfonien und Forderungsballaden.”
Nun geht es darum, entweder dagegen oder dafür zu sein. Diejenigen, die Land besitzen, das für den Bau geeignet ist, beginnen einen erbitterten Kampf und scheuen vor keinerlei Intrigen zurück. Tatsächlich hat jeder vor allem seinen eigenen Vorteil vor Augen.
Da gibt es eine Zugezogene, die “Pferdeflüsterin”, die eine heruntergekommene Villa renoviert und eine Pferdezucht aufziehen will und anhand eines Erfolgs- und Motivationsratgebers alle Register zieht. Da gibt es einen reichen Investor aus dem Westen. Und da gibt es Gombrowski, den Verwalter, der erfolgreich die ehemalige LPG in die neue Zeit geführt hat und mit den Einnahmen des Windparks den Betrieb und somit Arbeitsplätze für das Dorf erhalten will.
Doch Gombrowski hat Leichen im Keller. Mit seinem Widersacher Kron führt er seit Jahrzehnten einen erbitterten Krieg, der nun aufgrund der Windparkplanung wieder auflebt. Kron, ehemals eingeschworener Genosse, hatte mit der Enteignung des Gutes von Gombrowskis Familie zu tun. Dennoch arbeiteten beide jahrelang zusammen in der LPG.
Der Hass, der lange unterdrückt war, tritt nun massiv zu Tage. Dunkle Ereignisse, die lange Zeit verheimlicht wurden, lassen sich nun nicht mehr so leicht verschweigen. Selbst bislang unbescholtene Bürger fühlen sich zu Gewaltausbrüchen getrieben. Es kommt zu einem rasanten Showdown, bei dem Juli Zeh ein wenig überdreht, was aber dem Gesamteindruck des Romans nicht schadet.
“Seiner Erfahrung nach wurden die schlimmsten Übel der Welt nicht durch böse Menschen bewirkt. Von denen gab es in Wahrheit erstaunlich wenige. Viel gefährlicher waren Leute, die sich im Recht glaubten. Sie waren ungeheuer zahlreich, und sie kannten keine Gnade.”
Zeh bringt in diesem Roman aktuelle gesellschaftsrelevante Themen aufs Tapet. Zudem schildert sie anhand ihrer detailgenau ausgearbeiteten Figuren grandios, wie menschlich Menschen sind, wie leicht Konflikte eskalieren, wie gerne Intrigen gesponnen werden, wie schnell Menschen zu Gewalttätern werden, wenn es um Persönliches, Emotionales und um das liebe Geld geht. Auch den dörflichen Charakter weiß sie gut zu schildern – diese Mechanismen, die so ganz anders funktionieren als in einer Großstadt.
Sie teilt den Roman in Kapitel auf, in denen ihre Protagonisten abwechselnd zur Sprache kommen. Somit erlebt der Leser die Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln. Das ist geschickt gemacht, denn so steigt auch die Spannung und man kann sogleich seine persönlichen Sympathien und Antipathien verteilen. Mehr wird nicht verraten, denn es lohnt sich wirklich diesen Roman zu lesen!
Wie ein Paradies für Aussteiger, eine Idylle fernab vom Großstadtleben, dem geschäftigen Treiben der Menschen, liegt das kleine Dorf Unterleuten da. Und während die Mauer schon längst gefallen ist, erinnern sich die schrulligen Bewohner noch 2010 an die Zeit zurück, in der das Dorf in der DDR gelebt hat, an all die vergangenen Taten und Probleme. Als ein Windpark in die romantische Landschaft gebaut werden soll, klaffen jedoch die ganzen alten Wunden wieder auf, Streitereien nehmen den ganzen Ort in Anspruch und drohen, nicht nur Einzelschicksale zugrunde zu richten, sondern weitere, größere Tribute der Einwohner zu fordern…
Meine Bewertung
Wieder einmal hat es ein Buch von Juli Zeh geschafft, mich an die Seiten zu fesseln und absolut mitzureißen. “Unterleuten” war ein Rezensionsexemplar, das meine Juli Zeh-Sammlung allmählich vervollständigt, und ich freue mich sehr, dass ich es lesen durfte, dass ich wieder einmal in Charaktere eintauchen durfte, die mir persönlich nicht fremder sein könnten, und deren Schicksale mich doch so sehr mitgenommen haben, dass ich am Ende des Buches zitternd dasaß.
Juli Zeh hat in meinen Augen ein besonderes Talent, mit Sprache umzugehen, nüchtern große Gefühle zu beschreiben, ihren Charakteren Leben einzuhauchen, so unterschiedlich die auch sein mögen. Gerade an “Unterleuten”, das mit zahlreichen Handlungssträngen, vielfältigen Charakteren und einem roten Faden glänzt, den man selten bei so einem komplexen Roman finden kann, hat sie wieder einmal bewiesen, dass sie in der Lage ist, den Leser in eine Welt zu entführen, die so real ist, dass man sich alles vorstellen kann. Mit großer Liebe zu Details, bis ins Kleinste ausgearbeiteten Eigenheiten der Dorfbewohner, hat dieses Buch mich in seinen Bann gezogen.
Der große Konflikt dreht sich in vielerlei Hinsicht um Altlasten, Streitereien und Schicksale, die durch die Wende beeinflusst wurden. Die alteingesessenen Dorfbewohner, wie der steinharte Kommunist Kron oder die katzenvernarrte Hilde, Bürgermeister Arne und Großgrundbesitzer Gombrowski stehen einer Jugend gegenüber, die sich vom Großstadtleben entfernen will. Vogelschützer, Pferdebesitzer, Aussteiger – hier treffen so viele, unterschiedliche Temperamente aufeinander, Sichtweisen auf das Leben und die Gesellschaft, dass jeder Leser sicherlich einen Charakter haben wird, in dem er sich zumindest ansatzweise wiederfinden kann. Von Anfang an haben Juli Zehs detailreiche Schilderungen von Unterleuten und den Bewohnern es mir einfach gemacht, mich in der Story zurechtzufinden, selbst wenn man mal kurz den Überblick über die einzelnen Personen verliert.
In diesem Buch steckt ein solches Ausmaß an Gesellschaftskritik, das sich durch die Thematik der Windräder, die das Dorf spalten, offenbart, dass es mir schwer fällt, alles zu verdauen. Wer an dieses Buch rangehen will, sollte schon genügend Zeit einplanen, um sein eigenes Weltbild immer wieder zu überdenken, um die Bewohner Unterleutens nachzuvollziehen und den Ernst der Lage zu erkennen, die sicherlich stellvertretend für einige deutsche Dörfer steht. Mich hat “Unterleuten” sehr nachdenklich gestimmt, gerade durch die kurzen, knappen Sätze, die in sich nicht viel Gefühl beinhalten, dabei aber wieder einmal eine drückende Schwere im Leser erwecken, die noch Tage später greift.
Auf eine einzigartige Weise, für die ich jedes Mal wieder dankbar bin, hat es Juli Zeh geschafft, mich mit diesem Roman zu berühren und zum Nachdenken anzuregen. “Unterleuten” ist sicherlich nichts für zwischendurch, und auch nichts für schwache Gemüter. Es ist kein “Friede, Freude, Eierkuchen”-Buch. Man wird als Leser gefordert, erhält aber auch einen wunderbaren Roman, der so schnell nicht in Vergessenheit gerät und für einige Diskussionen gut ist.
Im Gegenteil: Irgendwann eskaliert der Streit, alle haben Recht und haben genauso nicht Recht.
Spannend geschrieben, überzeugende Figuren, die ganz verschieden sind. Am Ende bleibt die Frage, wer denn nun zu den Guten gehört, unbeantwortet.
Gehaltvoll, sprachlich gelungen, grandios erzählt.
„Unter Leuten“ ist nun das erste Werk aus ihrer Feder, welches ich mir zu Gemüte geführt habe …
Ich möchte berichten, wie es mir gefallen hat …
Daten zum Buch:
============
• Gebundene Ausgabe: 640 Seiten
• Verlag: Luchterhand Literaturverlag (8. März 2016)
• Sprache: Deutsch
• ISBN-10: 3630874878
• ISBN-13: 978-3630874876
• Größe und/oder Gewicht: 14,9 x 5 x 22,2 cm
PREIS: 24,99 Euro
Inhalt:
====
Die Geschichte spielt in Brandenburg – in einem kleinen Dörfchen vor den Toren Berlins. In Unterleuten gibt es zahlreiche Originale, unberührte Natur und seltene Flora und Fauna – was kann schöner sein ??? Aber …
Es gibt bald Streit – hinter der idyllischen Fassade entwickelt sich aus Bösem etwas ganz Schreckliches. Ein Windpark soll gebaut werden. Eigentlich wollen Menschen aus der Großstadt hier idyllisch leben – fernab vom Stress und doch scheitern sie irgendwann, können ihre Träume nicht verwirklichen. Provinz und Großstadt treffen aufeinander – kann das gut gehen. Die Städter kaufen sich die alten Villen und wollen hier fernab des Stresses der großen Stadt idyllisch und ruhig leben. Eigenes Interesse trifft auf Moral – gibt es Moral überhaupt noch? Werden die eigenen Interessen allem voran gestellt? Dann bricht die Hölle los in Unterleuten …
Zahlreiche Verwicklungen zurück in die DDR-Zeit sind es, die u.a. das Buch so spannend werden lassen, aber es ist auch die Art und Weise, wie die Autorin ihre Idee zu Papier bringt. Unsere Gesellschaft ist praktisch der authentische Aufhänger zu dieser spannend reizvollen und brisanten Geschichte. Da kann man viel draus machen – und das hat Juli Zeh gemacht – zu 100 Prozent.
Ich bin vollkommen überzeugt von der Geschichte – noch immer in ihrem Bann und könnte mir sehr gut eine Verfilmung vorstellen. Die Figuren konnte ich mir schon beim Lesen sehr gut vor dem geistigen Auge vorstellen und die Handlung ist sehr bildhaft beschrieben – Charaktere und Szenen sind nicht bruchstückhaft, sondern detailliert dargestellt. Die Autorin geht überhaupt sehr in die Tiefe, ohne langatmig zu erscheinen, sondern sie baut ständig neue Spannung auf und hat mich damit vollkommen an das Buch gefesselt.
Man nimmt Juli Zeh das Geschriebene ab, so könnte es passiert sein – irgendwo in Brandenburg – vor den Toren Berlins oder anderswo.
Keine Angst vor den mehr als 600 Seiten – die lesen sich flüssig und absolut angenehm – kurzweilig und spannend von Beginn bis Schluss.
Zusammengefasst: Ein spannendes, erschreckend gutes Buch!
Manchmal verliert sich die Autorin in zu genauer Beschreibung, was den Roman stellenweise langweilig erscheinen lässt.
Ich bin mir sicher, dass hier die Vorlage zu einem wunderbaren Film gegeben wurde!
In einem Ort, der überall sein könnte, bilden Einzelkämpfer plötzlich Grüppchen - ein geplanter Windpark droht das Idyll zu stören. Klug inszeniert Juli Zeh die einzelnen Protagonisten in einem einzigartigen Erzählstil. Dabei verliert sie trotz der ständig wechselnden Erzähler bzw. Perspektiven nie den roten Faden. Im Gegenteil, Juli Zeh gewährt uns Einblicke hinter die Kulissen dieses Dramas. Großartig!
Die Vielstimmigkeit dieses Werkes macht es so lebendig und differenziert, hier gibt es keine Schwarz-Weiß-Zeichnungen, sondern einen Blick in die unterschiedlichsten Seelenlagen und Motivationen.
Ein intensives Buch, spannend und unterhaltsam, das zugleich ein Abbild der deutschen Gegenwart ist und das viel Diskussionsstoff bietet.
Spätestens auf Seite 640 hat man dann begriffen, dass sich Leben trotz dieser eher entmutigenden Perspektive lohnt, eben weil ein anderes Lebens gar nicht möglich ist, wenn die Situation so ist wie in UNTERLEUTEN. Und dieses UNTERLEUTEN ist vielleicht nicht überall, aber doch viel präsenter als man glauben möchte. Das klingt jetzt alles ein bisschen theoretisch, ein bisschen langweilig auch. Dieser Eindruck aber wäre völlig falsch und würde Zehs Roman in keiner Weise gerecht. „UNTERLEUTEN“ ist nämlich ein facettenreiches Buch voller Leben, mit Figuren, die man lieben oder hassen kann, die einen aber nicht kalt lassen. Die Geschichte und die der klare, einfühlsame Sprache zeichnen den Roman aus. Juli Zeh schafft es, die emotionale und noch unsichere Jule und ihren 20 Jahre älteren Mann, den Vogelschützer Gerhard, genau so lebendig werden zu lassen wie die taffe Powerfrau Linda Franzen und den Zauderer Frederik – und das liegt nicht nur daran, dass diese Figuren wie der Leser aus dem Westen kommen. Denn auch die manchmal skurril wirkenden Figuren aus dem ländlichen Osten werden verblüffend authentisch und plastisch gezeichnet: Kron und Gombrowski, der „fette alte Hund“, „das Tier“ Schaller und die Liebe zu seiner Tochter, und selbst Hilde, diese Figur wie aus der Hexenküche im „Faust“, gehören zu diesem Figurentableau. Dazu kommt noch die faszinierende Spannung um ein lange zurückliegendes Geheimnis, um Verdrängung und um Beziehungen voller Sprengstoff.
Alles in allem: Ein Roman, der am 8.3. einen Sturm auf die Buchhandlungen entfachen sollte, wenn literarische Qualität wirklich eine Rolle spielt. Man soll ja die Hoffnung nie aufgeben – auch das lernt man in „Unterleuten“.
Bin völlig begeistert, wie Juli Zeh die unterschiedlichen Charaktere aufeinander treffen lässt.
Ein wunderbares Zeitbild.
Einfach großartig.
Die "Juli-Zeh-Fangemeinde" wird im März jubeln über den brillanten, vielschichtigen, gesellschaftskritischen Roman über die Menschen im Dorf "Unterleuten".
Wir freuen uns jetzt schon auf den Buchverkauf!